Über die frühen mittelalterlichen Gärten in Europa wissen wir sehr wenig. Und wenn, dann nur über sie als Kräutergärten, d.h. als Nutzgärten. Mit Sicherheit kam es nach der Durchsetzung des Christentums zu einem völligen Wertewandel in allen Bereichen der Kunst. Und über einen frühen künstlerischen christlichen Garten wissen wir eigentlich gar nichts. Inwieweit sich römische Einflüsse auf die mitteleuropäischen Gärten direkt auswirkten, ist auch unbekannt. Die Völkerwanderung lässt dies unwahrscheinlich erscheinen. Wohl wurden die ersten Gärten von den römischen Agrarschriftstellern beeinflusst, da ihre Aussagen die entscheidenden Grundlagen sowohl für den "Capitulare de villis" wie auch für die Klöster waren.
Einblick in die ersten Gärten in Mitteleuropa geben:
- aus weltlicher Sicht der
+ "Capitulare de villis (um 800 n.Chr.),
- aus klösterlicher Sicht der
+ "St. Galler Klosterplan" (um 820),
+ "Hortulus" des Abtes Walahfried Strabo (um 830).
Die weiteren Kenntnisse bezieht man aus der Dichtung (Minnelieder, Heldensagen) und der Malerei, wo Gärten stimmungsvolle Hintergründe abgaben. Dabei brachte jede soziale Schicht ihre eigenen hervor, zuerst die Mönche, dann der Adel und noch später das Bürgertum. Jede dieser Gruppen prägte dabei eine der drei mittelalterlichen Kulturepochen:
- Während der ersten Epoche orientierte man sich rein wirtschaftlich. Sie wurde von der
Landgüterverordnung Karl des Großen eingeleitet. Vorbild waren antike Erfahrungen. Im
kirchlichen Bereich findet man erste Texte, die die Natur- bzw. die Gartensehnsucht zum Inhalt
haben.
- Die zweite Epoche wurde vom Rittertum bestimmt (12. u. 13. Jh.). Es war die Übergangszeit von
der Romanik zur Gotik, die Zeit der Kreuzzüge.
- In der dritten Epoche erfolgte der Übergang zur Neuzeit. Das Bürgertum der Städte befreite sich aus der Vormundschaft des Adels. Die feudale Naturalwirtschaft wurde von einer städtischen Geldwirtschaft verdrängt. Das Bürgertum wurde kulturbestimmend.
Mit der Herrschaft Karl d.Gr. begann die erste Rückbesinnung auf die Antike. Sowohl der Kaiser wie auch der Adel lebten von ihren Gütern. Für ihre Bewirtschaftung erließ der Kaiser seine Landgüterverordnung "Capitulare de villes". Wahrscheinlich orientierte sie sich an antiken Schriften. In ihr wurden u.a. dreiundsiebzig Gemüse und Kräuter und verschiedene Obstarten ohne Rücksicht auf die klimatischen Verhältnisse in Mitteleuropa aufgeführt.
Im frühen Mittelalter bildeten die Klöster die kulturellen Zentren des Landes. Die geistig tätigen Mönche lasen die antiken Autoren und kannten deren Gartenbegeisterung. Einerseits war der Garten für sie ein Raum der Meditation, andererseits ein Raum der sinnlichen Verlockung. Dieses gespannte Verhältnis dauerte bei ihnen das ganze Mittelalter über. Im Alltag war der Garten für sie ein Arbeitsbereich und ein Raum der inneren Sammlung.
Der erhaltene Klosterplan von St. Gallen zeigt ein Schema solcher Anlagen. Er enthält alle vier Gartenkonzepte der damaligen Zeit:
- den Kreuzgang (hier einen großen und zwei kleine),
- den Gemüsegarten (hortus),
- den Heilkräutergarten (herbularius),
- den Obstgarten, der zugleich als Friedhof diente.
Der Kreuzgang erinnert an einen römischen Peristylgarten. Die Fläche wurde durch Wege in vier gleiche Quadrate aufgeteilt und hatte eine betonte Mitte (hier wahrscheinlich ein Sadebaum; sonst auch ein Brunnen oder eine besondere Pflanze). Die Quadrate waren wahrscheinlich mit Gras oder Efeu bewachsen. Dieses Grundmuster eines Ziergartens wurde hier zum ersten Mal dargestellt und bildete die Grundform aller formaler Gärten bis in die Gegenwart (z.B. der heutigen "Bauerngärten"). Dieser Kreuzgangsgarten diente nicht "nützlichen" Zielen sondern als Ort der Ruhe allein der inneren Sammlung und dem Gebet.
Hinter dem Arzthaus befand sich der Heilkräutergarten. Um acht, durch Wege voneinander getrennte Mittelbeete befand sich eine achtfach unterteilte Außenrabatte. Insgesamt wurden hier sechszehn Heilkräuter angebaut. Über den "Wurzgarten" wurde der Heilkräutergarten zu einer Vorform des späteren Blumengartens (in Italien des "giardino dei semplici"). Zu den Heilpflanzen zählte man damals auch Rosen und Lilien. Der Gemüsegarten war ähnlich aufgebaut. Er besaß achtzehn Beete. Die Hauptanbauflächen befanden sich außerhalb der Klostermauern.
Die sechszehn angebauten Heilkräuter waren:
- Madonnenlilie, Rosen, Bohnenkraut, Frauenminze, Bockshornklee (griechisch Heu), Rosmarin,
Minze, Gartensalbei, Weinraute, Schwertlilie (‚Gladiole), Polei-Minze, Kreuzkümmel,
Liebstöckel, Fenchel, Bohnen und Kresse.
Die Gemüsepflanzen:
- Zwiebeln, Porree, Sellerie, Koriander, Dill, Schlafmohn, Rettich, Mangold, Knoblauch,
Schalotten (kleine Zwiebeln), Petersilie, Kerbel, Salat, Bohnenkraut, Pastinake, Kohl und
Schwarzkümmel.
Der Obstgarten diente auch als Friedhof. Die Obstgehölze entsprachen weitgehend der Landgüterverordnung. Gepflanzt wurden:
- Apfel, Birne, Pflaume, Speierling, Mispel, Lorbeer, Esskastanie, Feige, Quitte, Pfirsich,
Haselnuss, Mandel, Maulbeerbaum und Walnuss.
Der Brauch, im Obstgarten beerdigt zu werden, ging bis in die Antike zurück. Bei den Griechen wurden die Heldengräber mit Bäumen umpflanzt. Sie galten dann als heilige Haine. Auch Jesus wurde im Garten des Josef von Arimathia begraben. Von angesehenen Römern ist bekannt, dass sie sich gerne in einem Garten beerdigen ließen.
Berühmt aus dieser Zeit war auch ein Gedicht des Reichenauer Abtes Walahfried Strabo, das "Liber de cultura hortorum" (kurz "Hortulus" genannt). Angeregt von antiken Schriften besingt er darin seinen Garten. Er beschreibt dabei dreiundzwanzig Gartenpflanzen und bringt sie mit der christlichen Heilslehre in Verbindung. Die Rose ist für ihn darin die Blume der Blumen.
Der Anbau der verschiedenen Gemüse- und Obstarten erweiterte den gärtnerischen Kenntnisstand der übrigen Bevölkerung und förderte damit auch den allgemeinen Gartenbau in ganz Mitteleuropa. In den Nutzgärten des Mittelalters wurden bevorzugt südeuropäische Pflanzen angebaut, die es in der eigenen Umwelt nicht gab (bevorzugt Gemüse-, Heil- und Färbepflanzen). Außerdem gab es noch Symbolpflanzen, die allmählich den Stellenwert von Zierpflanzen erlangten und den Grundstock der späteren Ziergärten bildeten.
Die Klostergärten dienten sowohl der Vita activa wie auch der Vita contemplativa (Versenkung). Ihre Merkmale waren:
- Eine Begrenzung durch hohe Mauern. Der Eingang bestand nur aus einer schmalen Holztür.
- Rechteckige Pflanzenbeete (sie waren höher als die Wege. Die Einfassung erfolgte durch Bohlen).
- Eine Bepflanzung mit Heilkräutern (Orientierung am Katalog der Capitulare de villis.
Die Pflanzen der karolinischen Liste hielten sich über die Bauerngärten bis in unsere Zeit).
- Der sinnliche Schwerpunkt lag beim Duft (nicht bei der Farbe), der "meditative" bei der Arbeit als solchen.