19. Versailles | ||||
Versailles ist Frankreich und Frankreich ist Versailles. Es gibt kein anderes Kunstwerk auf der Welt, das stellvertretend so repräsentativ für ein Land steht, wie es der Garten von Versailles tut (vielleicht der Petersdom für den Vatikan). Obwohl voll auf das Schloss bezogen, war es der Garten gewesen, in dem Ludwig XIV. als erster sein Königtum zu repräsentieren versuchte. Das Schloss wurde als ein notwendiges Zubehör für die Unterbringung der Gäste erst später auf den heutigen Stand erweitert. Es war zunächst der Garten, der im Mittelpunkt seines Interesses stand.
Angeregt wurde der König durch die Anlagen von Vaux-le-Vicomte (Bauzeit 1656-1561), in denen sich sein Generalintendant für das Finanzwesen (eine Art Finanzminister) Nicolas Fouquet seinen architektonischen Traum verwirklicht hatte. Selber ein großer Kunstkenner, hatte er sich mit einer Gruppe von Künstlern umgeben. Mit dem Bau der architektonischen Anlagen hatte er den Architekten Le Vau, für die Innenausstattung den Maler Le Brun und für die Außenanlagen den Gartenkünstler Le N?tre beauftragt. Sie schufen zusammen, das vielleicht vollkommenste künstlerische Gesamtensemble der damaligen Zeit, harmonisch in den Proportionen, ausgewogen in den Details. Eine große Mittelachse führte in die Tiefe, unterbrochen durch Nebenachsen und verschiedenen Ebenen. Parterre, Wasser- und Grottenanlagen sorgten für die Vielfalt in der Anlage. (Auch heute noch, obwohl nur noch ein ungenaues Restaurationsergebnis des 19. Jhs., eine der schönsten Gartenanlagen im "französischem Stil"; für dessen Verständnis besser geeignet als Versailles). Von Konkurrenten denunziert, ließ der König Fouquet nach einem Fest ihm zu Ehren wegen vorgeschobener Unterschlagungen von Staatsgeldern verhaften. Er blieb aber selber immer ein Gefangener seiner bei diesem Fest empfundenen Grunderlebnisse. Voller Neid wollte er es ihm gleichtun, ohne aber dessen geistige Substanz zu besitzen. Vaux-le-Vicomte war als ein großzügiger Rahmen für Festveranstaltungen gedacht gewesen (anders als die Medici-Gärten in der Renaissance, die sich als Begegnungsstätten im Sinne der Platonischen Akademie verstanden). Das gesamte Festleben wurde in ein Gesamtkunstwerk eingebaut, das an anderen Stellen dann von weiteren Künstlern gestaltet wurde, in Vaux besonders durch die Dichter Moliere, La Fontaine und Corneille. Diesen Glanz versuchte nun der König auf seinen Hof zu übertragen und verpflichtete alle Künstler Fouquets in seine Dienste. Die Gestaltungsprinzipien für den Garten von Vaux waren gewesen:
Der Garten von Versailles bezog sich ganz auf das Schloss (zunächst nur mit einer Front von 50, später einer von 415 m). Man muss ihn sich als eine riesige Bühne für Selbstdarstellungen vorstellen, bis ins kleinste Detail von einer Hofetikette gesteuert. Um für seine vielen Besucher (der gesamte Adel des Landes wurde praktisch gezwungen am Hofe zu leben) musste das Schloss ständig vergrößert werden. 1682 mussten in ihm 5000 Personen untergebracht werden und 15.000 in der Stadt. Der Garten war das Zentrum des Hoflebens, der Ort großer Feste. In ihrem Mittelpunkt standen Theateraufführungen. Ludwig XIV. hat Versailles geliebt. Hier versuchte er sich als König darzustellen. Die Grundfläche des Parks bildete ein großes Rechteck. Den ersten Teil (nach ca. 1 km) schloss eine breite Querallee ab, an dessen Kreuzungspunkt mit der Hauptallee sich ein großes Bassin befand. In der Verlängerung dieser Hauptallee befand sich der "Grand canal" (1560 m lang, 120 m breit und einem Querarm von 1013 m Länge), der den Blick bis zum Horizont führte. Der Eindruck der Raumtiefe wurde noch durch seitliche Baumkulissen im Mittelteil der Hauptachse gesteigert. Vor dem Schloss war eine Terrasse, an deren einen Seite sich ein Parterre mit dem Neptunbrunnen und auf der anderen die Orangerie befand. Da sich das Hauptparterre von den seitlichen Blumenparterres nicht ausreichend abhob, wurde es als Wasserparterre gestaltet. 1678 wurde die berühmte Thetis-Grotte entfernt, die der König sehr liebte und vor der viele Theateraufführungen stattfanden. Sie bestand in ihrem Inneren aus drei Nischen: In der mittleren stand Apoll (Er ist u.a. der strahlende Sonnengott der griechischen Mythologie, der Führer der Musen) mit seinen Nymphen, in den seitlichen hüteten Tritonen (Meergötter) die Pferde des Sonnengottes. Über den Eingängen waren große goldene Sonnenenbleme angebracht gewesen. Der König hatte hier Apoll zu seiner Symbolfigur gewählt. Von hier aus begann der Kult des "Roi soleil", der später den ganzen Garten zu einem Sonnentempel werden ließ, zu einem Symbol des Königs und damit einem Symbol des Staates. An der Stelle der Thetis-Grotte erfolgte eine Erweiterung der Nordseite des Schlosses. Ihre Zerstörung erzwang die Schaffung, bzw. den Ausbau vieler neuer Bosketts, die man für die verschiedensten Inszenierungen benötigte. Sie waren grüne Festsäle mit einer feststehenden Dekoration. Von 1669-74 entstanden die Bosketts auf der Nordseite der großen Allee. Nach 1677 wurden alle umgestaltet (manche bis zu fünfmal). Aus den früher intimen "giardini secreti" waren prunkvolle Bühnenräume geworden. Für das Erleben des Gartens schrieb der König selber einen Führer:
Bis ins 18. Jh. war Versailles für viele Fürsten das Vorbild, an dem man sich maß, nicht so sehr in der Nachahmung (dies wird oft überschätzt), sondern in dessen Stellung im allgemeinen Hofleben. Vom Herzog von Saint-Simon bis zur Lieselotte v.d. Pfalz wurde der Garten selber durchaus kritisch gesehen. Andererseits symbolisierte er wie kein anderer die geistige Haltung seiner Zeit. Er ist zwar eine geometrische Projektion, aber als solche auch eine symbolische Projektion eines königlichen Selbstverständnisses, einer Herrschaft und damit eines Staates. Heute erleben wir Versailles nur noch als ein großartiges Kunstwerk und ein Denkmal, ein Denkmal, dessen ehemaligen Glanz man nur noch erahnen kann, ohne seine festlich geschmückten Menschen und deren etikettegelenkten Selbstdarstellungen, in denen sie sich wie in einer Marionetteninszenierung zu bewegen hatten. Saint-Simon, der das Einmalige von Versailles durchaus sah, bemerkte dazu kritisch:
"Um etwas kühlen Schatten zu erreichen, ist man gezwungen, eine weite und sengende Fläche zu
überqueren, und danach kann man nichts anderes tun, als einen kleinen Hügel, mit dem die Gärten
enden, hinauf- und hinabzusteigen. Der Kies, der die Wege bedeckt, verbrennt die Füße, doch ohne
ihn müsste man hier im Sand und in dem schwärzesten Schlamm versinken. .... Man kann nicht
umhin, von der Vergewaltigung der Natur, die man überall antrifft, abgestoßen und angewidert zu
werden. Zahllose, von überall hergeleitete und herbeigezwungene Wasserläufe stagnieren grün,
dickflüssig und sumpfig. Sie verbreiten eine ungesunde, fühlbare Feuchtigkeit und einen noch stärkeren Geruch. Unvergleichlich ist die Wirkung der Brunnen und anderer Künste, obwohl sie viel
Pflege und Mühe kosten. Aber der Erfolg des Ganzen ist nur der, dass man bewundert, um zu
fliehen".
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