22. Orangerien | ||||
So wie zu jedem Barockschloss ein Garten gehörte, so gehörte auch zu jedem dieser Gärten eine Orangerie. So wie der Garten war sie eines der wichtigsten Prestigeobjekte eines Fürsten. Sie waren sein ganzer Stolz. Die Früchte waren allein seiner Tafel vorbehalten. (1736 z.B. in Stuttgart für den Ludwigsburger Hof 20.000 Früchte).
Bereits im kaiserlichen Rom hatte es Gewächshäuser gegeben und auch 1247 empfing Albertus Magnus Wilhelm von Holland in Köln in einem solchen. Im späten Mittelalter standen sie als "Hibernaculum" in medizinischen Universitätsgärten (Hortus medicus). Die Botanik war damals noch eine Hilfswissenschaft der Medizin. Empfindliche Pflanzen wurden im Winter hier eingeräumt und im Sommer fand hier der pharmakologische Unterricht statt. Im 17. Jh. setzte dann eine allgemeine Sammeltätigkeit ein. Kunstkammern entstanden. Es wurde alles gesammelt, was die Vielfalt der göttlichen Schöpfung zum Ausdruck bringen konnte. Dazu gehörten auch Pflanzen. Ein besonderes Prestige brachten diejenigen, die nicht jeder haben konnte, d.h. die nur sehr selten waren oder nur mit einem großen Aufwand kultiviert werden konnten. Das galt besonders für die Pflanzen, die man von den antiken Schriften her kannte, solche aus dem Mittelmeergebiet und zunehmend aus dem Orient und Mittelamerika. Besonders gerne wurden an den Fürstenhöfen Zitrusgewächse gesammelt (München, Stuttgart, Heidelberg), des besonderen Prestige wegen aber auch von einigen reichen Bürgern in Augsburg und Nürnberg. 1559 entstand in einem Lustgarten der erste Pomeranzengarten in Deutschland mit "abschlagbaren" Häusern (sie wurden jedes Frühjahr entfernt und im Herbst neu errichtet). Im Barockgarten waren die abschlagbaren Pomeranzenhäuser aus ästhetischen Gründen immer weniger eingliederbar. Auch waren die Pflanzen im Kübeln vielseitiger verwendbar. Im 17. und 18. Jh. setzte dann die Blütezeit der eigentlichen Orangerien ein, in Deutschland nach Ende des dreißigjährigen Krieges besonders nach italienischen und französischen Vorbildern. Neben ihrer Funktion als Überwinterungsgebäude für die Pflanzen (jetzt bevorzugt Zitrusgewächse) wurden die Häuser im Sommer für Festlichkeiten genutzt. Orangerien wurden die Gebäude nach der beliebtesten, nicht frostharten Kübelpflanze genannt. Die Zitrusgewächse waren auf den verschiedensten Wegen nach Italien gekommen. Die Zitronatszitrone z.B. zunächst durch Alexnder d.Gr. nach Griechenland (sie wurde bei Vergil zum "goldenen Apfel" der Hesperiden), die Pomeranze durch arabische Händler 1002 nach Sizilien. Nach Deutschland kamen sie Mitte des 16. Jhs. und verbreiteten sich rasch. Es gab eine Vielzahl von Arten und Sorten. Allein in der Orangerie von Schwöbber standen 1714 49 Orangen-, 133 Limonen- und 38 Zitronatsorten. Ihrer Beliebtheit nach pflanzte man Pomeranzen (Bitterorangen), Zitronen, Apfelsinen und Mandarinen. Den größten Bestand davon gibt es heute noch auf der Insel Mainau. Die ältesten Pflanzen sind dort ca. 210 Jahre alt. Für die Zitrusgewächse sprachen drei Eigenschaften: ihre Seltenheit, ihre besonderen Merkmale und ihre symbolische Bedeutung. Selten waren sie wegen ihres mühseligen Anbaus und deshalb als Genussmittel eine Besonderheit. Zu ihren besonderen Merkmalen gehörte, dass sie immergrün waren, stark dufteten und intensive Laub- und Fruchtfarben besaßen. Die Tatsache, dass sie gleichzeitig blühten und fruchteten wurde symbolisch als ein Ausdruck für das ewige Leben gesehen, der Umstand, dass man mit Hilfe von Häusern in der Lage war, die Pflanzen zu überwintern, als Ausdruck der Macht des Fürsten auch über die Natur. Ihre besondere Beziehung zu den Fürsten erhielten die Orangen aber durch ihre Beziehung zu Herkules (der Idealfigur des Absolutismus). Sein Mythos war eng mit ihrem Anbau verbunden. Bei seiner 11. Aufgabe sollte er für den Herrscher von Mykene die goldenen Äpfel der Hesperiden rauben, dem Hochzeitsgeschenk der Urgöttin Gaia an Zeus und Hera. Jedes Kennzeichen von Herkules stand für eine Tugend, die "goldenen Äpfel" (= Orangen) z.B. für die Überwindung von Habsucht und Begierden. Der berühmte Herkules Farnese, wahrscheinlich von Lysipp um 330 v.Chr für Alexander d.Gr. geschaffen, wurde als Herrschersymbol gerne in den Gärten aufgestellt, besonders beeindruckend in Kassel-Wilhelmshöhe. Die Oranier gaben sich nicht zufällig ihren Namen nach dieser Frucht (deshalb u.a. auch die große Sammlung in Oranienbaum). Erst im 19. Jh. erfolgte eine Abgrenzung des Begriffs zu anderen Pflanzenhäusern. Man unterschied jetzt Gewächshäuser in Skelettbauweise aus Holz oder Gusseisen und Glasscheiben und Gartenhäuser, zu denen die Orangerien gehörten. 1599 wurde das erste Gewächshaus in Leiden (Holland) errichtet. Um 1700 begann man die ersten Fenster schräg zu stellen. In England wurden sie dann von Mackenzie und Loudon weiterentwickelt. Nachdem Paxton 1840 für den Herzog von Devonshire das 85 x 40 m große "Great Conservatory" (Gewächshaus) gebaut hatte, bekam er den Auftrag zur Errichtung des legendären "Kristallpalastes" für die Londoner Weltausstellung 1851 (564 x 137 m groß und 20,3 m hoch; 3300 Säulen und 300.000 Scheiben. Er galt als ein Weltwunder der Modernen). Eine Begeisterung für die Glasarchitektur setzte ein. In der Folge wurden auf der ganzen Welt viele Palmenhäuser errichtet, bald auch in schönen Jugendstilformen. Durch die koloniale Erschließung der Welt und die Einfuhr exotischer Pflanzen war ein neuer Bedarf entstanden. In Deutschland war das Palmenhaus in Kassel-Wilhelmshöhe (1822) das erste Gewächshaus (ab 1840 In Glas-Eisen-Konstruktion). Seit der Mitte des 19. Jh. wurden Palmenhäuser (typisch dafür die überhöhte Kuppel im Mittelbau) auch in öffentlichen Anlagen errichtet. Der Frankfurter Palmengarten wurde 1869 als ein stützenfreier, 1500 qm großer Wintergarten an einem Gesellschaftshaus errichtet. Heute dienen diese Glashäuser der botanischen Forschung oder sind Erlebnisgärten wie das "Project Eden" in Cornvall (2001; fast 1 km lang, mit ausgeklügelter elektronischer Klimatechnik). Orangerien besaßen eine solidere Bauart als Gewächshäuser und hatten durch ihre Nutzung als sommerliche Festräume auch andere Aufgaben. Meist handelte es sich um eingeschossige Bauten mit großen Fenstertüren zur Südseite hin, in Deutschland oft als Abschluss einer Gartenanlage. Sie waren große beheizbare Häuser aus Stein und Glas, im 17. Jh. zunehmend kleine Paläste. In der Favorite, dem so wichtigen Garten für die deutsche Gartenkunst (1711-22, Mainz, völlig zerstört), lag das Schloss am Rheinufer und der Garten bezog sich auf eine Orangerie, die Marly-ähnlich von je drei Pavillons eingefasst war. Zu den wichtigsten erhaltenen Orangeriebauten in Deutschland gehören:
Heute versucht man die große Zahl der Orangerien nach verschiedenen Hauptmerkmalen zu unterteilen: Orangerien als
Kritisch hatte Hirschfeld 1780 über sie angemerkt:
"Allein man machte aus den Orangerien doch mehr als man sollte, da man glaubte, dass kein deutscher Garten ohne sie schön sein könnte; ein Wahn, der nicht bloß die Fürsten, sondern auch die
reichen Bürger beherrschte. Die Unterhaltung einer großen Orangerie in Deutschland ist nicht allein
deswegen abzuraten, weil sie sehr kostbar ist und viele Wartung erfordert, sondern auch, weil diese
Bäume unter uns nur kranke Fremdlinge sind, die, unserer rauen Luft ungewohnt, sich immer nach
den Gewächshäusern, ihren Spitälern, sehnen".
Im 19 Jh. wurden für die Pflanzenhäuser ästhetische Lösungen weniger wichtig. An ihre Stelle traten verstärkt technische (bezogen auf die Bauweise und Klimasteuerung). Das neue Ideal war nicht mehr der barocke Hesperidenhain in seiner symbolischen Bedeutung als Ausdruck einer Herrschertugend, sondern der Traum von einem tropischen Paradies. |