13. Das Paradies | ||||
In jedem Menschen schlummert ein Traum, eine Summe all seiner Sehnsüchte. Sie sind das Ergebnis seiner Erbanlagen - und dort vor allem seines Stoffwechsels und dessen Ausprägung durch die ihn umgebende Umwelt. Es ist ein Traum, der seinem inneren Spiegelbild entspricht. Und seine erlebte Idealexistenz besteht darin, - besonders in einer Überflussgesellschaft -, diesem Traum möglichst nahe zu kommen.
Das genetische Programm im Menschen Es ist erstaunlich, wie wenig wir tatsächlich über uns wissen. Als Menschen befinden wir uns auf einer mittleren Daseins- und Wahrnehmungsebene. Dies könnte uns letztlich egal sein, wenn uns nicht die anderen Ebenen entscheidend beeinflussen würden, bzw. wir unser fehlendes, aber für unsere innere Orientierung wichtiges Wissen über die Religionen, die Geistes- und Naturwissenschaften zu erwerben versuchen - teilweise als Setzung nur spekulativ und teilweise auf der mittleren Daseinsebene als kausalen Beobachtungsbezug. Eigentlich wissen wir über unsere Welt sehr wenig, wobei durch die Begrenztheit unseres Gehirns die Welt außerhalb dieser mittleren Ebene nur spekulativ ist. Sie folgt auf der Makroebene Universum und der Mikroebene (z.Z. den Strings) weitgehend nur mathematischen Schlüssen. Wir wissen nicht einmal wie viele Dimensionen es im Universum gibt (die heutigen Stringforscher vermuten 11, wir empfinden und denken nur in drei, begrenzt in vier). Unser Nichtwissen gilt z.Z. auch noch für den biologischen Bereich. Die Genomforschung der beiden letzten Jahrzehnte hat dies besonders deutlich gemacht. Jede neue Erkenntnis wurde zum Hintergrund unzähliger neuer Fragen. Bisher als sicher empfundenes "Wissen" erwies sich als oberflächliches Allgemeingut. Es ist damit zu rechnen, dass in kurzer Zeit unser Bild vom Menschen sich radikal verändern wird und damit all unsere rationalen Planungs- und Gestaltungsgrundsätze. Wir "wissen" heute im Makrobereich (universalen Bereich) die Bestätigung mathematischer Ordnungssysteme durch die Astrophysik und im Mikrokosmos durch die Stringforschung. Dabei können wir an diesen Ordnungssystemen zufriedenstellend nur festhalten, wenn wir in sie "Unbekannte" einfügen, u.a. Dimensionsgrößen, die sich unseren realen Wahrnehmungsfähigkeiten entziehen. Alle ihre Antworten bleiben letztlich Annahmegrößen. Nicht viel anders ist es im organischen Bereich. Alles was wir bisher über unser Erbgut und die Zellbiologie wussten, erweist sich als zutiefst ergänzungsbedürftig. Forscher wie Lamarck (1744 - 1829), die vor wenigen Jahren nur belächelt wurden, werden zunehmend ernst genommen. Seine Behauptung, dass ein Lebewesen entscheidend von seiner Umwelt bestimmt wird und diese Einflüsse dann auch erblich weitergibt, erweist sich unter bestimmten Umständen als richtig. Befreit von den Vorurteilen gegenüber den ideologischen Wunschvorstellungen der früheren Sowjetforschungen zeichnet die neue Bioinformatik und hier besonders die Epigenetik ein neues Bild von den tatsächlichen Zusammenhängen. Wir wissen heute (Sommer 2008, in wenigen Monaten kann sich dieses Bild durch Ergänzungen radikal ändern), dass der Mensch in seinem Zellkern
Im Gegensatz zu unserem bisherigen "Wissen" ist das Genom keine feste, unabänderliche Größe. Bisher glaubte man, dass jedes Gen nur 2x existiert (je 1x aus dem väterlichen und 1x aus dem mütterlichen Satz). Heute ist bekannt,
Für uns ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass alle sozialen und materiellen Außenfaktoren (u.a. Stress, Ernährung, Sozialkontakte) bis in die Zellkerne hinein auf uns Einfluss nehmen. Man kennt zwar inzwischen die menschlichen DNA-Sequenzen relativ genau (ihre Erforschung begann erst 1990 mit dem "Humangenom-Projekt" in den USA). Dies entspricht aber nur etwa der Kenntnis der Hardware des menschlichen Erbgutes, der Kenntnis des Bauplans des menschlichen Lebens, damit kennt man aber noch nicht dessen Umsetzung, seine Software. Deren Erforschung ist heute eine Aufgabe der Proteomik (Fachbereich der Bioinformatik). Sie erforscht die Veränderungen der Proteine in der Zelle (des Proteoms); d.h. deren dynamische Vorgänge (im Gegensatz zum statischen Genom); Beispiel: Raupe, Puppe und Schmetterling haben das gleiche Genom, aber ein unterschiedliches Proteom). Welche Interaktionen in einer Zelle ablaufen, ist noch weitgehend unbekannt, vor allem die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Genen und ihr Gesamteinfluss auf den Stoffwechsel. Die Vielfalt des Lebens wird erst durch das Zusammenspiel der Proteine in einer Zelle bestimmt. Zur Zeit besitzt man nicht einmal ein Konzept für das Verstehen der vielen Daten. Wenn man davon ausgeht, dass der Mensch wahrscheinlich bis zu 1. Mio. verschiedener Proteine besitzt, so kann man ermessen, wie weit entfernt man noch vom Verständnis ihres Zusammenspiels ist. Auf die Proteomik baut die Systembiologie, die dann nicht mehr von der einzelnen Zelle ausgeht, sondern von deren Zusammenwirken in ihrer Vielzahl in einem Körper unter bestimmten Umwelteinflüssen. Alle unsere Körpervorgänge werden von Proteinen gesteuert. Sie bilden das hochkomplexe Netzwerk auf dem unsere Existenz beruht. Wir begreifen es in seinem Zusammenwirken erst in seinen Anfängen. Jeder Außeneinfluss auf unseren Körper wird wahrgenommen und hat seinen Einfluss, bzw. Folgen (sei es das Licht, das Wasser, unsere Arbeit oder unsere Nahrung). Wie diese jeweils auf uns wirken, wissen wir in den seltensten Fällen, zumal sie bei jedem Menschen verschieden sein können. Zurzeit befinden wir uns noch in einer Epoche von Versuch, Erfolg und Irrtum, und der Gartenbereich ist "nur" eine große Welt des Angemutetseins, - des Angemutetseins, weil er uns stoffwechselmäßig mit den Hintergrundvoraussetzungen unserer Evolution korrespondieren lässt. Über die Proteomik und die Systembiologie wird es eines Tages vielleicht möglich sein, den einst diffusen Ansätzen der Lebensreformbewegung einen gemeinsamen rationalen Hintergrund zu geben. Zur Zeit können wir uns nur auf einer mittleren Orientierungsebene an der Welt orientieren, auf die hin wir uns wahrscheinlich biologisch entwickelt haben, eine Welt, von der wir glauben, dass sie deshalb am ehesten unserem inneren Stoffwechselgleichgewicht entspricht. Wir wissen heute ziemlich sicher, das wir über unser Verhalten und unsere Umwelt auf unseren komplexen Proteinhaushalt (und damit eher oder später auch auf unsere Gene) Einfluss nehmen können. Wir bestimmen damit sozial über unsere Kultur in der Zukunft auch unser Erbgut (einige 100 Jahre werden dafür vielleicht ausreichen). Da es sich dabei langfristig um eine Generationenfrage handelt, ist dies für den heute lebenden Menschen zwar relativ unbedeutend, wohl aber ein ethisches Problem in Hinblick auf die Folgen unseres heutigen Tuns. Gesichert ist der Einfluss der Umwelt auf die Moleküle in unseren Genen. Über sie werden deren Informationen verschieden zugänglich. Besonders im Hippocampus (zuständig für die Gedächtnis- und Lernvorgänge) entstehen durch die Umwelteinflüsse Methylierungsmuster, molekulare Spuren im Gehirn. Dies erfolgt besonders in der frühen Entwicklungsphase. Wir vermuten, dass die DNA in den Zellen um Histone (Eiweiße) gewickelt ist und dort von den Zellen durch den Anbau einer Acetylgruppe an diese beeinflusst wird. Die Steuerung der Zellen erfolgt wahrscheinlich über das Aufwickeln oder Abstoßen. Eine Folge davon ist, dass sie damit gezielt aktiviert werden können (dies ist nur in einem abgewickelten Zustand möglich). Düfte scheinen auf dieses An- und Abschalten über das Gehirn einen Einfluss zu haben. Wir können in unserem Alltag auf diese epigenetischen Hintergründe nur Einfluss nehmen über unsere
Das Paradies Wir gehen davon aus, dass das "Paradies" eines jeden Menschen in seinen Genen und deren Ausprägungen als ein diffuses Sehnsuchtsbild für seine innere Orientierung vorgegeben ist. Jeder Mensch wird jenseits eines oberflächlichen sozialen Konsenses ein eigenes Bild davon besitzen. Entsprechend unseren persönlichen Grenzen ist es etwas Beschränktes, begrenzt durch die Mauern unseres Bewusstseins, d.h. u.a. durch die uns zur Verfügung stehenden geistigen Bezüge in unserem Umweltbezug. Unsere Welt darüber hinaus bleibt eine Welt der mathematischen Formeln, unserer Setzungen, unserer Anmutungen, unserer Fantasie. Das Paradies ist für uns eine begriffliche Setzung, von der wir glauben, dass sie uns zur Erlangung unseres höchsten und dann immer fortwährenden Glückes fehlt. In unserem Alltagsleben versuchen wir, nachdem wir unsere unmittelbaren Grundbedürfnisse und sozial auferlegten Statuszwänge abgedeckt haben, uns an dieser Zielorientierung in Teilschritten zu orientieren, ohne dass wir sie je erreichen können (wenn man einmal von einigen Glücksmomenten und den Erzählungen über die Ergebnisse eines jahrzehntelangen mönchischen Askeselebens absieht). In unserem Bewusstsein ist das Paradies ein konkreter Ort für ein nie endendes Glück. Und die Geschichte der Menschheit könnte als eine Geschichte der Suche danach geschrieben werden. Zunächst erfolgte die Suche durch Seefahrer (Kolumbus ist nur der bekannteste unter ihnen), dann durch "Wissenschaftler", deren Schriften darüber ein unüberbietbares Ergebnis menschlicher Fantasie darstellen und oft in wunderschönen Bildern durch Künstler (z.B. die Südseebilder Gauguins). Erträumt wird immer eine Welt des Nicht-Mangels, der Schönheit, Musik und Sinneslust. Kein anderer Ort als ein Garten kann letztlich diesem Bedürfnis über eine Annäherung gerecht werden. Es ist eine Welt einer in Harmonie lebenden (unberührten) Natur (unabhängig davon, ob sie letztlich auch nur eine Kunstlandschaft ist). Das Wort Paradies ist vom altpersischen "pairidaeza" abgeleitet, das dort etwa "Umzäunung" oder "umfriedeter Garten" bedeutete. Die Griechen übernahmen es von ihnen als "paradeisos". Um 399 v. Chr. verband Xenophon den Begriff Paradies mit den Gärten des Königs Kyros. Schon Zarathustra (etwa 100 v. Chr.) machte ihn zum Lohn für ein gottgefälliges Leben auf der Erde nach dem Tod. Um 600 v. Chr. übernahmen dann jüdische Gelehrte seine Gedanken und machten daraus den verlorenen "Garten Eden": Dieser wird im 1. Buch Moses beschrieben (bis zur Vertreibung der Menschen). Er entspricht dort der sumerischen Steppe vor der Eiszeit, die fruchtbar gewesen sein soll, und in der Zeit danach unfruchtbar geworden war. Über die genaue Lage des "Garten Edens" gibt es viele Spekulationen. Geographisch bezieht man sich u.a. auf die vier Paradiesflüsse Euphrat, Tigris, Aras (= Gihon, vermutet werden der Nil, aber auch der Indus) und der Pischon (ihm werden verschiedene Lagen zugesprochen. Es soll dort Gold und Edelsteine geben). Man vermutet, dass mit der Vertreibung der Klimawechsel am Ende der Eiszeit gemeint war und damit der Zwang für die Nahrungsbeschaffung einen bewussten Ackerbau zu betreiben. Es handelt sich dabei um eine Beschreibung des Wechsels vom paradiesischen Zustand eines Jägers und Sammlers zu dem eines Hirten und Ackerbauers, von dem frei streifenden Nomaden zum schwer für seinen Unterhalt arbeitenden Menschen. Für die jüdischen Gläubigen war der Garten Eden der Versammlungsort der Gerechten nach dem Tode. Sie kennen keine vererbten Sünden (dem Ideal nach. Diese werden jährlich bereut (am Jom Kippur)) und kein personifiziertes Böses (z.B. einen Teufel). Im Christentum wird über die Schuld, die zur Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies geführt hat, die Erbsünde begründet, die damit auf alle Menschen übergegangen ist. Je nach den Traditionen der verschiedenen Glaubensgemeinschaften gibt es verschiedene Vorstellungen. Nach dem jüngsten Gericht soll im Paradies eine vollkommene Gesellschaft, das Reich Gottes entstehen. Im Islam gilt die Vertreibung aus dem Paradies als ein "Neubeginn", der gekennzeichnet ist von der Suche Adams und Evas nach einander und ihre große Liebe zu einander. Das Paradies selber ist eine Welt voller Freuden, mit Früchten, kühlen Bächen, Paradiesjungfrauen und weichen Liegemöglichkeiten. Im Koran erreichten die Paradiesbeschreibungen ihren ersten Höhepunkt. An mehr als 100 Stellen wird es besungen. Mohammed hatte es nach seinem Ritt in die sieben Himmel gesehen und beschrieben. Später wurde es in den Überlieferungen über das Leben des Propheten (Hadithen) noch weiter ausgeschmückt. Für Homer waren es die "Elysischen Felder" (griech. Elysion, lat. Elysium), für Hesiod die "Inseln der Seligen": Sie lagen nach griechischen Vorstellungen im äußersten Westen des Erdkreises und waren vom Okeanos (Atlantik) umflossen. Hierher wurden von den Göttern die Helden gebracht, denen sie Unsterblichkeit verliehen. Es herrschte dort ewiger Frühling und der Trank aus der Quelle Lethe ließ alle irdischen Leiden vergessen. In der Gartenkunst gibt es in Wörlitz ein Elysium, das man im "Neumarks Garten" erreicht, wenn man zuvor das düstere Labyrinth (Irrgänge) durchschritten hat. Allgemein bekannt ist das Elysium aus dem Schillertext im Abschlusslied der 9. Symphonie von Beethoven, wo die "Freude" als schöner Götterfunken aus Elysium dargestellt wird. Im gewissen Sinne muss man auch die "Hesperiden" zum griechischen Paradies zählen. Auch sie lagen bei den verschiedenen Autoren im Westen der jeweils bekannten griechischen Welt und waren vom Okeanos umflossen. Zunächst suchte man ihre Lage in Arkadien und später mit der Zunahme der geographischen Kenntnisse im Atlantik (vielleicht waren mit ihnen die kanarischen oder kapverdischen Inseln gemeint). Auf den Hesperiden bewachten gleichnamige Nymphen die "Goldenen Äpfel", die Gaia der Hera zur Hochzeit mit Zeus geschenkt hatte. Durch eine List gelangten sie in den Besitz von Herakles (im Rahmen seiner zwölf Aufgaben), der sie an Eurystheus (den auftraggebenden König von Tiryns) weitergab. Von diesem gelangten sie über Athene wieder an ihren alten Platz. Das Motiv der Hesperiden wurde in der Kunst häufig aufgegriffen. So gibt es z.B. in Nürnberg Hesperidengärten. Das islamische Paradies zeichnet sich durch seine Sinnlichkeit aus (wie auch der islamische Garten), das christliche im Mittelalter dagegen durch Gottesschau und Lobgesang. Erst gegen Ende desselben kam auch das Bild des Schlaraffenlandes hinzu. In ihm wurde der Protest gegenüber dem aufkommenden Bürgertum mit seinen Disziplinforderungen und Arbeitsnormen sichtbar. Das moderne Paradies war deshalb auch immer eine Gegenwelt gegenüber allen Zwängen und Ungerechtigkeiten aus der bestehenden Umwelt. Gleichzeitig zum jenseitigen Paradies hat es in vielen Kulturen auch den Traum von einem Paradies auf Erden gegeben, - allerdings erst in einer utopischen Zukunft:
Um die Jahrhundertwende zum 20 Jh. vertraten viele Vertreter der Lebensreformbewegung ähnliche Gedanken (Und in der Gegenwart u.a. der Esoterikerkreis Förderation Damanhur bei Turin). Mit der Entleerung des Himmels durch die Aufklärung beginnt man zunehmend das Paradies auf der Erde zu suchen. Mit dem verlorenen Glauben kam zunehmend die Angst vor der Sinnlosigkeit des Daseins auf. Man beginnt das irdische Paradies mit dem Natürlichen, dem vom Menschen noch Unberührten gleichzusetzen. Berühmt wurde in diesem Zusammenhang Rousseaus "Zurück zur Natur". Romantiker zeigten der Rationalität ihre Grenzen. Eine Vielzahl pseudoreligiöser Gurus, Esoteriker oder heute Therapeuten wies neue Wege der Sinngebung. Diese Entwicklung erreichte dann in der Lebensreformbewegung ihren ersten Höhepunkt. Im 18 Jh. glaubte man das Paradies in der Südsee gefunden zu haben, in der überwältigenden Schönheit seiner Natur. Doch immer, wenn die Menschen an die Orte strömten, wo sie glaubten, es gefunden zu haben, vernichteten sie es (in der Karibik die Goldsucher; in der Südsee, die bis dahin unbeschwerte Sinnlichkeit, die Syphilis; heute oft der Tourismus). Exotismen und Orientalismen wurden idealisiert und als unverbraucht dargestellt. Die "Natur" wurde zum großen Alternativkonzept zur Großstadt, die Überwindung der Trennung von ihr, von der Entfremdung zur neuen Aufgabe erklärt. Der Landschaftsgarten war dann zwar eine erste Projektion des Paradieses, er fand aber seine Grenzen, weil er den Menschen, seinen Erbauern mit seinen individuellen Bedürfnissen nicht mit einbezog. Dies forderte dann erst die Lebensreformbewegung ein. Nach der Aufklärung entstanden zwei Gruppen von Paradiessuchern. Die einen suchten es in der "Reinheit der Antike" oder der "Unberührtheit exotischer Länder", die anderen in großen Zukunftsvisionen (unter denen die sozialistische Utopie nur die bekannteste ist). Der Fortschritt sollte alle auftretenden Probleme in der Zukunft lösen. In ihren Versprechungen sah man das zukünftige Glück. Weiter kann man unter den Paradiessuchern Gruppen finden, die diese neue Welt aktiv anstreben wollen und andere, die den untätigen Genuss suchen - die Revolutionäre und die Schlaraffenlandsucher. Verkürzt kann man sagen, dass der (moderne) Mensch sich immer auf der Suche nach seinem Paradies befindet, nach dem Augenblick "Verweile doch, du bist so schön". Es ist das persönliche Wunschbild, dass in ihm tief angelegt ist, sein Traum vom Glück, seine Fluchtwelt vor den Missständen seiner Welt. In unserer "zivilisierten" Welt wird es zunehmend von der Ahnung bestimmt, was wir mit dem schemenhaften "Ursprünglichen", mit der "unberührten Natur" verloren haben. Und daraus erwächst der Traum von einer Wiedergeburt eines naturnahen, frühen Menschseins, von der Kraft des naturnahen Menschen, von einem vitalen Leben, wie es Nietzsche beschrieb. In unserer Kultur gibt es in der Kunst zwei Möglichkeiten solche Visionen anzustreben: Es ist das eine Mal über die Sinnlichkeit und das andere formal über den Stil. Dabei kann man die Oberfläche betonen oder in die Tiefe gehen, auf die Schönheit setzen oder auf die Kraft, in die Vergangenheit fliehen (Antike, Gotik) oder in die Ferne (Südsee). So setzte Gauguin ihm gemäß ganz bewusst das "Wilde", den Ursprung gegen den verklärenden Klassizismus (das Akademische). Da ein hemmungsloser Lebensgenuss schnell über eine Übersättigung zu einer inneren Leere führen kann, bleibt der persönliche Stil die wichtigste Möglichkeit uns auf unser Paradies hinzubewegen. Während der Lebensreformbewegung hieß dies Leben und Kunst zu vereinen - für ihre Künstler, zu ihren schöpferischen Ursprüngen zurückzukehren. In diesen geistigen Bezügen ist eine herausragende Stellung der Gartenkunst naheliegend. Es hat sie aber während der Lebensreformbewegung nicht gegeben und so war ihr Versinken in die Bedeutungslosigkeit als Kunstdisziplin im vergangenen Jahrhundert folgerichtig. An die Stelle dessen hatten die anderen Künste (besonders im 19. Jh. die Malerei, im 20. die Bildhauerei) den Garten für ihre Zwecke entdeckt. Sie übertrugen auf ihn ihre eigenen Farb- und Formgesetze und lösten sich von seinen bisherigen naturbezogenen Formgesetzen. Sie entwarfen Zaubergärten mit Wunderblumen (z.B. Rousseau). Einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in der surrealistischen Malerei. Der Garten wurde hier zu einem symbolischen Ort (z.B. Ernst, Dali). Heute ist er in der Malerei oft nur der Ausdruck für ein abstraktes Zeichensystem (z.B. Klee) und Modell für irgendein ästhetisches oder soziales Konzept, in dem der Paradiesbezug kaum noch erkennbar ist. Seit Urzeiten gilt der Garten als ein Symbol für das Paradies. Das galt für die Perser im Zarathustrismus (nach der Neugestaltung der altiranischen Religion), für die Griechen und ihre Hesperiden, für die Kelten mit ihrem Avalon ("Apfelgarten", später Sitz von König Artus) und die Germanen mit ihrer Gartenwiese um den Folkwang, dem Wohnsitz der Göttin Freya in Asgard. Wahrscheinlich stand der Garten in allen Kulturen für das Paradies. Der phylogenetische Hintergrund ist nach Gordon Orions die Ideallandschaft auf die hin der Mensch sich in seiner Evolution entwickelt hat, die afrikanische Savannenlandschaft der ersten Menschen. Und unser Traum vom Paradies erweist sich letztlich von dorther gesehen als eine ständige Suche nach dieser Urerinnerung. Er ist ein tief im Menschen verankertes Sehnsuchtsbild. Im Bereich unserer kulturabhängigen Paradiesvorstellungen handelt es sich bei einem Paradies um einen durch eine Mauer (die damit auch zugleich zwischen gut und böse scheidet) von der Umwelt abgegrenzten Ort (einem Hortus conclusus, im Mittelalter ein beliebtes Motiv der Mariendarstellungen: "Paradiesgärtlein", Maria im Rosenhag"). Das christliche Bild eines "verschlossenen Gartens" stammt aus dem Hohelied Salomons. In den mittelalterlichen Bildern steht Maria symbolisch für das Paradies. Das Urbild eines solchen kulturabhängigen Gartens, Paradieses ist der altpersische Chahar bagh, der Vierungsgarten - in Indien ein ummauertes Rechteck, von dessen vier Seitentoren aus jeder Himmelsrichtung eine Straße zum Weltenbaum in der Mitte führt -, der in der Bibel dann später von den vier Flüssen bestimmt wird und einem Apfelbaum, dem Baum der Erkenntnis. Bei aller Abgeschlossenheit nach außen und der Rationalität seines symmetrischen Aufbaus war das Erleben eines solchen Gartens äußerst sinnlich. Dazu trugen der Schatten unter den Bäumen bei, das Murmeln des Wassers in den Kanälen und der Duft der Pflanzen. Eine gewisse Ahnung von diesen früheren Gärten kann heute noch der Orangenhof an der Moschee von Cordoba vermitteln. Heute ist es die Gartenkunst, die den Gedanken der Paradiessuche am konsequentesten aufgreifen kann - ja deren zentraler Inhalt er geradezu ist. Jeder vermag hier im Rahmen seiner Möglichkeiten seine Vorstellungen im Sinne seiner Erwartungen umsetzen, seine eigenen Sehnsüchte darin verwirklichen (wenn er den Mut hat, sich von den modischen Konventionen seiner Umwelt zu lösen). Durch die individuellen Eingriffe kann jeder Garten (auch der kleinste) zu einer Stätte der Zwiesprache von Mensch und Natur werden, zu einer Stätte in der man seine eigene innere Ruhe wiederfinden kann. Das Paradies war immer ein Ort der menschlichen Projektionen, ein großer Mythos, immer verbunden mit unseren Sehsüchten nach Reichtum und Luxus (damit verbunden: kein Hunger mehr, soziale Anerkennung, die Träume in den Entwicklungsländern bezogen auf den reichen Westen, der Armen bezogen auf die Reichen) und freien Sex (bei den Hippies "paradise now"). Die Kirchen haben es einst als Projektion für einen Befriedigungsaufschub bei den Unterprivilegierten im Sinne ihrer eigenen Interessen gegenüber den Privilegierten genutzt. Sie versprachen ihren Gläubigen nach dem Tod das Paradies als einen Ort der Seligkeit. Immer war damit eine schöne Welt verbunden, ohne Hunger und Streit, in der man sich ungestraft vergnügen konnte. Es gab in ihr keine Krankheiten oder Tod. Damit besaß das Bild vom Paradies aber immer etwas Statisches, kein Altern und auch keine Jahreszeiten. Damit trennte es sich von einem realen Garten, in dem es keinen Stillstand gibt. Während das Paradies keine Geschichte kennt, ist ein Garten von seinem Werden und Vergehen bestimmt. Einen Garten anzulegen, bedeutet ein Suchen (ein Suchen nach allem, was gesucht werden kann). Er ist geschaffen ein Bekenntnis - vielleicht in erster Linie ein Ethisches. Ich frage in ihm:
Dabei sind unsere Paradiesprojektionen auch immer Kinder ihrer Zeit. Platon entwarf die seinen im "Idealstaat", Thomas Morus in seiner "Utopia", Rousseau in seinen Gesellschaftskritiken, Marx in seinen Entwürfen zum Sozialismus und die Lebensreformer am "Monte Verita". In der Gartenkunst lösten im 19. Jh. die Palmen die Orangen als paradiesische Projektionspflanzen ab. Paradiesvorstellungen gehören zum archetypischen Besitz der Menschheit. Immer schwingt in den Überlegungen darüber der Gedanke an etwas Verlorenes mit. Nach Jean Paul bleibt nur die Erinnerung, aus der man nicht vertrieben werden kann. Als in der Renaissance das Bewusstsein für die neue Gartenkunst geschaffen wurde, gab es bereits die gedankliche Verbindung von Paradies und Garten. So sagte bereits Lorenzo de Medici (1449-1492): "Weil "Paradies", wer es richtig bestimmen will, nichts anderes sagen will als ein sehr angenehmer Garten, voll von allen gefälligen Dingen, von Bäumen, Äpfeln, Blumen, bewegtem und fließendem Wasser, Vogelgesang und in der Tat von allen Annehmlichkeiten, welche das menschliche Herz sich ausdenken kann". Die Natur Unser Naturverständnis ist von unserem Naturbegriff abhängig. Wir können uns in sie einordnen oder uns über sie stellend sie zu beherrschen versuchen. Wir können ihr mit unseren Sinnen begegnen oder auch rational. Immer werden wir ein anderes Bild von ihr erhalten. In unserer Kultur begreifen wir sie in der Regel nur als eine Ressource, egal ob es sich dabei um den Boden, das Wasser oder als Rohstofflieferant handelt. Allerdings begreifen wir sie zunehmend auch als eine nur begrenzt zur Verfügung stehende Reserve und einen Bereich zu dem wir psychisch und physisch biologisch irgendwie in einer Beziehung stehen. Rational stehen wir zwar einerseits am Ende ihrer Energienutzung, u.a. der Nahrungskette, doch zugleich stoffwechselmäßig in einem Abhängigkeitsverhältnis von ihr. Welches Kriterium ich auch immer betone, es wird in mir immer ein anderes Naturbild entstehen lassen. Eins unserer Probleme ist, dass wir sie zunehmend immer weniger mit unseren Sinnen erleben, sondern nur noch rational mit den Augen eines spezialisierten Naturwissenschaftlers, eines Physikers, eines Chemikers oder eines Biologen. Und diese wiederum sehen in ihrer Welt nur noch einen engen Bereich. So braucht genau genommen auch ein guter Biologe als Spezialist keine Kuh oder kein Schaf mehr zu kennen. Eine Folge davon ist, dass die Natur immer weniger als Ganzes gesehen wird und wir immer weniger ein Gespür für sie besitzen (ein Gespür, das früher jeder "einfache" Bauer oder im Gesundheitsbereich ein Landarzt besaß). Genau genommen ist die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur Natur, die für ihn existentiell wichtigste überhaupt. Seine Grundeinstellung ihr gegenüber bestimmt sein Fühlen, Denken und Handeln. In der Bibel sprach Gott am sechsten Tag: "Macht euch die Erde untertan". Damit wurde sie für ihn zu einem Objekt seiner Eroberung. Diese stellte ihn auf eine autonome Ebene, die ihm die Macht zusprach, die Natur nur noch als Werkzeug oder Material zu sehen. Die Technik als ein Ausdruck seiner Kultur wurde ihr gegenübergestellt. Natur und Technik wurden zu Antipoden, standen sich diametral gegenüber. Die Technik wurde zum wichtigsten Mittel der menschlichen Emanzipation. Dem rationalen Weltverständnis folgte die industrielle Revolution mit ihrer Verheißung in Zukunft die Kräfte der Natur beherrschen zu können. Mit der industriellen Revolution begann aber auch der Prozess einer verstärkten Umweltzerstörung und bei genauerem Hinsehen der menschlichen Selbstzerstörung. Dies wurde zunächst von den Romantikern (1798 - 1835) erkannt, die sich dafür viel Spott anhören mussten. Sie galten als irrational, die an der Einheit der Natur als Symbol für einen übergeordneten Geist und damit für Gott festhielten. Aber mit den Romantikern begann die Welt unserer Moderne. Sie war das Ergebnis der Spannungen zwischen einem ganzheitlichen Umweltbewusstsein und einem jeweils rational erfassten Teilbereich der Natur, aus dem dann das moderne Individuum hervorging. Und je nachdem wo der einzelne Mensch kulturell jetzt steht, sieht er verstärkt die positiven Möglichkeiten der Naturbeherrschung (z.B. des Atomstroms) oder den Beginn der menschlichen Selbstzerstörung. Wir haben in unserer Kultur ein ästhetisches und zugleich ein wissenschaftliches Bild von der Natur verinnerlicht, ein romantisches Harmoniebild (als Paradies) und zugleich das der Ressourcenquelle für unser Wohlergehen. Unser persönliches Bild bewegt sich dazwischen, jeweils mehr oder weniger zu einer dieser Vorstellungen neigend. Das Problem setzt ein, wenn der Mensch vergisst, dass er selber biologisch ein Teil dieser Natur ist und über deren Ausbeutung seine eigenen Lebensgrundlagen zerstört. Dieser Denkansatz ist rational, selbst wenn er verinnerlicht oft emotional vorgetragen wird - auch das in einer oft zeitabhängigen Form -, heute gerne als ein "komplexes System der Selbstorganisation" (Treptow). Ein anderer Zugang ist ein ästhetischer, ein Zugang der oft bei Stadtmenschen zu beobachten ist. Das Naturschöne wird dabei einerseits von der Ästhetik eines Naturdetails oder als Ganzes von einer Landschaft abgeleitet - von der visuell erfassten Natur als Ganzes. In beiden Fällen ist sie von den jeweiligen Stimmungen des betroffenen Menschen abhängig. Dabei beeinflussen sich bei der Naturbeobachtung der Betrachter und die Natur gegenseitig. Der Betrachter blickt aus seinem Lebensgefühl und seiner Erfahrung (z.B. seiner Arbeit in ihr) auf sie und die Natur wirkt auf ihn über ihr wechselndes Erscheinungsbild ein (z.B. die Tages- und Jahreszeiten, die jeweilige Witterung, letztlich die Formen der Urnatur: Erde, Wasser, Licht und Wärme). Dadurch erhält jeder Naturraum seine charakteristische Erlebnisqualität - und jeder Garten stellt letztlich einen Naturraum dar. In dem Augenblick in dem wir anfangen einen Ort ästhetisch zu gestalten, beginnen wir einem in uns liegenden Ideal zu folgen, das uns in die Nähe unserer "Urnatur" führt, dem in uns schlummernden Bild von unserem Paradies. In unserem Garten schaffen wir eine Symbiose zwischen uns und der Natur. Er wird dann zu einem Raum, in dem wir uns mit allen unseren Sinnen einbringen können (allerdings auch dies nur durch die Filter unserer jeweiligen Kultur, unserer Umwelt, unserer Lebenserfahrungen). In der Antike erkannte man an der Schönheit der Natur einen Ausdruck der göttlichen Gesetze und damit ihres Wirkens. Danach - und bei den Romantikern bis heute - sah man in ihr das Kunstwerk Gottes. Die Ausnahmestellung der Künstler in der Gesellschaft hatte hier ihren Ursprung. Während sie bis zur Renaissance nur als Handwerker gesehen wurden, waren sie jetzt diejenigen, die das göttliche Schöpfungswerk über ihr Genie in seiner Ästhetik fortsetzten. Im 18. Jh. erfasste man an der Natur verstärkt das Erhabene, Malerische. Hegel stellte dann das Naturschöne nachrangig hinter das Kunstschöne, weil die Natur nur ihren Gesetzen folgte und nur durch Zufall etwas Schönes entstehen ließe. Heute ist für uns das Erfahren der Naturästhetik ein Ergebnis unserer genetischen und sozialen Vorgaben. Wir erleben sie als unbewussten oder bewussten Akt einer in uns ablaufenden schöpferischen Tätigkeit - auf den Garten übertragen, indem wir in ihm, von einem inneren Ordnungsbewusstsein her, Elemente herausnehmen, einbringen oder betonen. Über unser rationales Ordnungsempfinden lagert sich eine zusätzliche Ebene eines persönlichen Bezuges. Je nach persönlichem sozialem Umfeld ist im Rahmen eines persönlichen Naturbezuges heute der Gedanke einer ökologischen Ästhetik verbreitet. Auf dem Hintergrund eines spezifischen Naturverständnisses wird vorrangig die Gestaltung der Umwelt nach ökologischen Maßstäben gefordert. Dies entspricht einer neuen Paradiesvision für eine erhoffte zukünftige Lebenswelt. Der Mensch wird darin als Teil der Natur gesehen, bzw. diese als der ihm gemäße Lebensraum. Sie wendet sich gegen ihre Zerstörung, weil man daraus alle menschlichen Leiden ableitet, eine neue Denkform seiner Vertreibung aus dem Paradies. Der rationalen Naturbegegnung wird deshalb verstärkt die instinktive, ganzheitliche gegenübergestellt, die von der Sinnlichkeit des Menschen ausgeht. Der neue Naturbezug orientiert sich damit weniger an der Naturschönheit, sondern umfassender an dem "Wohlsein" in der Natur. Ein Problem ist, dass genau genommen niemand genau sagen kann, was die "Natur" eigentlich ist. Wir können den Inhalt dieses Begriffs immer nur versuchen einfühlend zu umkreisen. Bedingt durch das heutige "Wissen" der Naturwissenschaften können wir die Natur nicht mehr als eine kosmische Ordnung verstehen, in der alles Seiende sich befindet. Sie wird heute gerne als Gegenbegriff zur Kultur gesehen, als eine gesetzliche Welt des Nichtmenschlichem, als Arbeitsbereich der Naturwissenschaften. Aus diesem Gegensatzbewusstsein wird der Mensch ihr in seiner Technik verstärkt gegenübergestellt. Schon in der Bibel stellte er sich in das Zentrum der Schöpfung. Das klassische Bewusstsein, die Natur als etwas Umfassendes zu sehen, ist für die breite Mehrheit der Bevölkerung in Vergessenheit geraten - unsere Dazugehörigkeit in ihrer komplexen Einheit. Dabei erleben wir sie in uns über unsere Wahrnehmungen, unsere Körperhaftigkeit, unsere Krankheiten, den in uns verankerten Gesetzen von der Geburt bis zum Tod, ihren kulturellen Überbauungen als Ort der Erholung und der sportlichen Aktivitäten, d.h. der Bewegungen in ihr. Wir erfahren die Natur über die
Auf den einfachsten Nenner gebracht, ist die Gartenkunst "Lebenswelt-Gestaltung" des Menschen, Naturgestaltung, d.h. die Gestaltung seiner existentiellen Lebensbereichsvorgabe. Hier arbeitet er als Gestalter nicht mit einem ihrer Teilbereiche, wie z.B. der Bildhauer mit einem Stein, der Maler mit seinen Farben oder der Musiker mit den Tönen, sondern er steht ihr gestalterisch in ihrer Gesamtheit gegenüber. Dabei ist die Pflanze nur eines seiner Gestaltungselemente, wenn auch ein wesentliches, da er weitgehend über sie seine Räume schafft und Sinneserlebnisse setzt. Sein Wissen über sein Arbeitsmaterial muss viel umfangreicher sein als das eines jeden anderen Künstlers (allein die vielen Pflanzenarten mit ihren oft Tausenden Sorten. Seine Beziehung zu seinen Gestaltungsmitteln ist viel komplexer als das jedes anderen Künstlers. Er verkörpert die Natur symbolisch in einem Garten über die vier Elemente Erde, Wasser, Himmel und Feuer, die Pflanzen, die Gestaltung des Ortes. Auf diese Weise wird der Garten zum Spiegelbild unseres Selbstverständnisses von unserem Dasein in der Welt, das Ergebnis unseres diffusen, ganzheitlichen, oft als Mangelerlebnis empfundenen Naturbezuges und unseres Nachdenkens über uns selbst. Nur über die Natur können wir den unendlichen Formenreichtum unserer Welt erfahren, unsere Ursprünglichkeit und ihre unendliche Weite (in einem kleinen Raum erlebt als Tiefe). Wir können die Sätze Goethes über die Natur auch auf einen Garten beziehen: "Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen - unvermögend aus ihr herauszutreten, und unvermögend tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arm entfallen" (Tobler-Fragment). Die "dritte" und "vierte" Natur Einst galten die Gärten als die "dritte" Natur, als Verwandte der Kunst, als eine ästhetisch überformte Natur. Den Künstlern hat man in der Renaissance die Aufgabe zugesprochen, die Natur nachzuahmen und zu interpretieren. Wie für die damalige Dichtkunst und Malerei galt dies auch für die Gartenkunst. Und Bonfadio (1508 -1550, italienischer Humanist) nannte deshalb ihr Ergebnis "terza natura", die "dritte Natur". Er bezog sich mit diesem Gedanken auf Ciceros "alteram Naturam", der damit eine durch die menschliche Tätigkeit (damals mit der Hand) umgestaltete Natur, die "zweite Natur" verstand (im Gegensatz zur heutigen großräumigen, maschinellen Einflussnahme wurde die Landschaft in früheren Zeiten durch die menschliche Arbeitskraft und damit nach einem "menschlichen Maß" geformt). Bei Bonfadio ging die Natur im Garten mit der Kunst eine Symbiose ein. Ihr Ergebnis zielte auf eine Wiederherstellung des Goldenen Zeitalters, der irdischen Paradieses. Die "erste Natur" war im Rahmen dieser Überlegungen die von menschlichen Einflüssen völlig unberührte Natur, die allein ihren eigenen Gesetzen folgte. Innerhalb unseres Kulturkreises gibt es sie nur noch als ideale Vorstellung, deren Schönheit man nachtrauert und auf die man seine Sehnsüchte projiziert (unsere Naturschutzgebiete sind Kulturlandschaften und haben mit ihr nichts zu tun). Gärten bilden also als ästhetische Ausdruckskörper die "dritten Natur", für die wir eigene Wahrnehmungskriterien benötigen. Als ein selbständiges abgegrenztes Stück Land bilden sie eine dreidimensionale Welt, in der bestimmte ästhetische Kriterien deutlicher zum Ausdruck kommen als in den anderen Künsten - deutlicher als in einem Bild, einer Skulptur oder auch der sonstigen Architektur. Ihr Problem ist nur, dass sie sich weitgehend dem Zugriff der allgemeinen traditionellen kunstvermittelnden Instanzen, z.B. der Museen oder Galerien entziehen und damit von diesen aus ihrem Blick- und Interessenwinkel heraus als Kunstdisziplin in Frage gestellt werden. Gärten unterstehen zunächst keiner Institution. Sie stellen eine eigene Welt dar, eine Welt, die bei allen Eingriffen in einen Ort, in die Natur eine Rückzugsqualität für uns besitzt, weil sie uns zu unserer inneren Welt zurückführt. Je nach unserer Einstellung zur Natur haben wir in Europa bisher drei Gartenstile gehabt:
Der "locus amoenus" (= idyllischer Ort) der griechischen Literatur war nach Robert Curtius als Ort gekennzeichnet durch
Ein Garten ist ein strukturelles Beziehungsgeflecht an einem bestimmten Ort. Garten und Ort verschränken sich dort zu einer untrennbaren Einheit. Dabei besitzt auch das Gelände bereits vier Verständnisebenen:
Da seit dem 20. Jh. unsere Naturvorstellungen nicht von der eigenen Erfahrung sondern vorwiegend medial bestimmt werden, spricht Brigitte Franzen auch von der "vierten Natur". Sie sieht diese als eine dreifach überformtes Naturkonstrukt ("zweite Natur", "dritte Natur" und jetzt "vierte Natur"). Für sie sind keine formalen Vorgaben mehr bestimmend, sondern Modelle, die sie im Rahmen von Denk- und Handlungsabläufen repräsentieren. Dabei sieht Hannelore Paflik-Huber das "Modell" als etwas Spezifisches für die moderne Kunst. Sie ersetzt mit ihm den früheren "Werk"-Begriff. Ein Modell ist dadurch gekennzeichnet, dass es nach Ulrich Schütte
Unser Alltagsleben wird weitgehend von dem Umstand bestimmt, dass wir die Natur nicht mehr von unseren Erfahrungen her kennen, sondern nur als Vorstellung eine Meinung von ihr besitzen - die oft um so heftiger vertreten wird, je weniger unsere Kenntnisse über sie fundiert sind. So fehlen oft idealistischen Naturschützern oder auf die Natur sich berufenden Esoterikern die einfachsten Grundkenntnisse über sie. Alle ihre Äußerungen basieren auf Idealen, bzw. Ideologien, bzw. sind durch diese gefiltert. Sie entsprechen einem Wunschdenken, das mit der Realität kaum vereinbar ist. Andererseits sind sie in der Lage, eine neue Geistigkeit in unsere Gartenwelt zu bringen. Die moderne Ökologie- und Naturgartenbewegung wäre ohne diese Menschen kaum möglich gewesen (was nicht bedeutet, dass die Ökologie nicht auch an sich als ernsthafte Wissenschaft betrieben werden kann). Heute wird als Grundvoraussetzung für ein künstlerisches Werk
"Die Vorgabe der begehbaren Wege (im Garten) ist Leseanleitung und Augenführung, die die mitgebrachten Erfahrungen ebenso einbezieht wie die momentan inszenatorische Erfassung und Neuerfahrung der im Garten thematisierten Paradigma. Die offenbare Freiheit der Wahrnehmung wird in eklatanter Weise durch Wegführung, Streckenplanung, Ortsbesetzung und Themensetzung eingeschränkt, oft jedoch so subtil, dass eine an positive Empfindung gekoppelte Erfahrung auf der Betrachterseite zu einem Verweilen am Ort führt. ...... Diese feine Form der Subversion (Zerstörung) ermöglicht eine Kombination verschiedener künstlerischer Strategien und Themen" (Franzen). "Die zeitgenössische Landschafts- und Gartenarchitektur findet - bis auf wenige Ausnahmen - in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Garten wenig Beachtung, weil sie zu stark von formalen Fragen dominiert wird und sich unhinterfragt hergebrachten künstlerischer Versatzstücke, beispielweise aus der Land Art bedient. Die "Künstler-Gärtner" sind demgegenüber wesentlich stärker vom Garten als Ideengebäude, Netzwerk, Rückzugsort und Metapher fasziniert und verbinden damit ein auf Kunst und Kunstproduktionsbedingungen bezogenes Erkenntnisinteresse, das über reine Fragen der Platzgestaltung hinausgeht. Der künstlerische Garten ist dabei weniger Terrain und Anknüpfungspunkt an postmodernen Gesamtkunstwerkphantasien als vielmehr, ......, die Etablierung eines scheinbar außerkünstlerischen, drei- oder mehrdimensionalen Raumes, der als real existierender Ort im organisatorischen, als künstlerisch begriffenes Netzwerk von "Natur" bzw. innerhalb einer Vorstellung der Organisation dieser "Natur" verankert ist" (Franzen). |