Er wollte mit Hilfe der Antike (für ihn das "Goldene Zeitalter") die Kunst des 16. Jahrhunderts erneuern. Durch ihn erhielten die Skulpturen im Garten ihren besonderen Stellenwert im Garten (z.B. zur Inszenierungvon Wegen).
Im Werdegang seiner Tätigkeiten: Maler, Archäologe, Architekt und Gartenkünstler des Manierismus. Daneben ein umfangreiches Schrifttum, in dem er das Wissen seiner Zeit über die antiken Gebäuden Roms und Tivolis zusammentrug und deren Statuenfragemente zeichnete. Deren Rekonstruktionsentwürfe wurden ihm besonders im 19. Jh. als Fälschungen vorgehalten, während sie heute weitgehend als die Ergebnisse seiner umfangreichen Kenntnisse und Beobachtungen gesehen werden. Er hinterließ eine riesige Enzyklopädie des Altertums (bis heute unveröffentlicht; Manuskripte über verschiedene Bibliotheken in Europa verstreut).
An persönlichen Lebensdaten werden bei ihm genannt:
- 1514
- geboren in Neapel als Sohn einer wohlhabenden Familie, Erziehung am Hof der Carafas, die eine große Sammlung an Antiken besaß (Neapel),
erste Arbeiten für deren Familie.
- 1534
- in Rom:
Ausbildung zum Maler;
Studium der antiken Ruinen, Skulpturen, Münzen, Geräte und Texte. Eintritt in den Dienst verschiedener Kardinäle, die mit den Carafas befreundet waren (Arbeit für diese, die Orsinis und d'Estes).
- 1542
- Beauftragung durch Gian Pietro Carafa (spätere Papst Paul IV.) die seit 1527 nach der Plünderung Roms zerstreute Skulpturensammlung Julius II. wieder in den Belvederehof zurückzubringen,
- Fresko "Tanz der Salome" in der Confraternitá di S. Giovanni Decollato (Rom),
- 1549
- Eintritt in den Dienst des Kardinals Ippolito II. d'Este als Verwalter seiner Skulpturensammlung
(danach weitgehende Aufgabe seiner Tätigkeit als Maler),
- Ausgrabungen an der Villa Hadriana (Tivoli) im Auftrag des Kardinals,
- 1550
- Beauftragung durch Vignola die Errichtung des Nymphäums der Villa Giulia abzuschließen
(erste Beschäftigung mit der Inszenierung von Skulpturen in der Natur),
- Beginn mit den ersten Arbeiten an der Villa d'Este,
- 1560
- "Delle antichita die Roma"
(enthält die Ergebnisse seiner Forschungen; 10 Bände),
- 1552 - 1561
- Aufmessungen des antiken Roms,
- 1553
- 1. Rekonstruktionsversuch des antiken Roms auf einer Karte,
- 1553 (?)
- Schaffung des Palazzos Torres (Rom ; heute Palazzo Lancelloti),
- 1557 - 1558
- Päpstlicher Architekt (hat am Hof das Amt eines "disegnators" inne),
- Schaffung einer antiken Skulpturensammlung für den Papst Pius IV (wurde von Papst Pius V. aufgelöst),
- 1559 - 1562
- Entwurf des Casinos Pius IV. in den Vatikanischen Gärten (der "Villa Pia" mit ihrem "giardino segreto")
(eine antikisierende Anlage aus zwei Baukörpern um einen elliptischen Hof mit einem zentralen Becken, ein zu einem Garten gewordenes Werk der Architektur),
- Mitarbeiter der Fabbrica di San Pietro (unter der Leitung Michelangelos),
- 1560
- Übernahme der Fertigstellung des Belvedere-Gartens (Rom),
- Errichtung der dortigen großen Exedra (anstelle Bramantes kleiner Nische),
- 1561
- 2. Rekonstruktionsversuch des antiken Roms auf einer Karte,
- 1564
- Nachfolger Michelangelos als leitender Architekt von St. Peter, (gestaltete u.a. die obere Geschoßreihe der Südseite abweichend von Michelangelos Plänen),
- 1565
- Verleugnung durch Guglielmo della Porta (Anklage wegen finanzieller Bereicherung, 22 Tage Haft und Verlust seines Amtes als Palastarchitekt; aber weiterhin Bauleitung von St. Peter bis Anfang 1567; wahrscheinliche Ablösung auf Wunsch des Papstes Pius V., Nachfolger Vignola),
- 1567
- Rückkehr nach Tivoli (im Dienst des Kardinals Ippolito, wieder als Verwalter seiner Antikensammlung),
- Entwurf des Gartens für die Villa d'Este,
- evtl. gelegentliche Mitarbeit an den Entwürfen für den "Parco dei Mostri" in Bomarzo (u.a. These von Theurillat, 1973),
- 1568
- im Dienst des Herzogs Alfonso II. d'Este als hauptamtlicher Antiquar in Ferrara (Neffe des Kardinals Ippolito, nach dessen Tod),
- 1569
- am Hof der Este in Ferrara als Wasserbauingenieur (u.a. Sicherung der Stadt vor den Überschwemmungen des Pos),
- 1583
- Tod in Ferrara.
Im Bereich der Architektur sind von Ligorio drei Bauwerke bedeutsam geworden:
- 1559 - 1562
- das "Casino des Pius IV.",
- 1559 - 1565
- die halbkreisförmige "Exedra" im Belvederehof
(angrenzend an den Statuenhof ist sie der krönende Abschluss von Bramantes Anlage. Wahrscheinlich wurde sie, wie auch zuvor die Terrassen und die doppelläufige Rampe vom Heiligtum der Fortuna Primigenia in Palestrina angeregt),
- 1565
- Entwurf und Anlage des Gartens der Villa d'Este,
Oft wird auch das Nymphäum der Villa Giulia zu seinen Werken gezählt (heute "Museo Nationale Etrusco"). Die Villa selber wurde 1551-1553 von Vignola errichtet und das Nymphäum von Vasari und Ammanati, die auch seinen zentralen Brunnen entwarfen.
Inwieweit er den "Parco sacro" in Bomorza entwarf, ist umstritten. Durch sein Interesse für antike Altertümer (u.a. das Heiligtum der "Fortuna Primigenia" in Palestrina) und deren ikonographische Nutzung wird er dessen Eigentümer Vicino Orsini gut gekannt haben. Wahrscheinlich hat er ihn gelegentlich beraten, aber diesen Garten nicht entworfen.
"Villa Pia" (Casino des Pius IV.)
Um 1560 als Gartenhaus errichtet. Sie lag hinter dem Petersdom und nicht weit vom Belvedere-Garten. Hier zog sich der Papst nach prunkvollen Empfängen in seinen Privatbereich zurück. Sie gilt als Ligorios architektonisches Meisterwerk und als eines der elegantesten manieristischen Bauwerke überhaupt. Bei ihrer Errichtung orientierte er sich an antiken römischen Bauten. Er verband eine offene Loggia und einen dreigeschossigen Pavillon mit Hilfe eines ovalen Hofes, in dessen Mitte ein Springbrunnen mit Putti stand, die auf einem Delphin ritten. Sein Wasser floss in eine Nische der Nymphe Thetis. Besonders schön waren die im Wasser sich spiegelnden Mosaiken, die Ligorio zuvor in alten Römerbauten gesehen hatte. In Marmorgefäßen waren duftende Orangen- und Zitronenbäumchen gepflanzt gewesen. Früher stand diese Anlage innerhalb eines formalen Parterregartens, heute ist sie von einem Landschaftsgarten umgeben. Einst führten die Wege sternförmig von ihr fort. Dieser Gedanke wurde später dann zum Vorbild für viele französische Barockgärten. Nach dem Vorbild dieser Villa wurde das Casino im Caprarola errichtet.
Villa d'Este
Wahrscheinlich ist ihr Garten der berühmteste Italiens und einer der einflussreichsten der Welt. Seit 2001 gehört er als Gesamtkunstwerk zum Weltkulturerbe der UNESCO. Die Villa liegt auf einem Hügel etwa 30 km von Rom entfernt (mit Blickrichtung zur Stadt). Der gesamte Garten war auf die Villa Hadriana und verschiedene in der Nähe liegende antike Tempel ausgerichtet. Seine Hauptachse wurde gestalterisch durch eine Treppe betont, seine Querachsen auf den verschiedenen Terrassen durch deren Endpunkte. Er folgt streng geometrisch aufgebaut einem einfachen Grundkonzept. Der Garten ist - wie auch das Schloss - ein Musterbeispiel für die Übersetzung einer humanistischen Vorstellungswelt in eine architektonische Formensprache, ausgedrückt über ein komplexes ikonographisches Programm. Zur Verfügung standen (teilweise nach gewaltsamen Ankäufen) ein Gelände von 200 x 220 m, vom Eingang im Tal bis zur Palastfassade ca. 220 m.
Das gesamte Gelände bestand aus drei Höhenbereichen:
Der Auftrag zu dieser Anlage kam von dem Kardinal Ippolito d'Este (1509 - 1572), einem Sohn der Lucrezia Borgia. Er besaß bereits zwei Villen in Rom und einen Landsitz in Fontainebleau. Obwohl er der reichste Kardinal seiner Zeit war, hatte er stets Schulden. Gerne wird er als einer der "kultiviertesten und feinsinnigsten Männer seiner Zeit" dargestellt. Dem steht aber gegenüber, dass er u.a. seinen Bruder Giulio aus Eifersucht blenden ließ, weil sich dessen Geliebte Angela Borgia diesem und nicht ihm zugewandt hatte (siehe Novelle von C.F. Meyer). Sie heiratete später einen seiner illegitimen Söhne. Nachdem er mehrmals selber vergeblich versucht hatte, Papst zu werden, unterstützte er die Wahl Julius III. und erhielt dafür als Dank die Herrschaft über Tivoli. Er war an diesem Ort wegen seiner römischen Ruinen und seiner Nähe zur Hadrian-Villa interessiert. Er hoffte, dort für seine Sammlung antike Statuen zu finden und ließ sofort mit den Ausgrabungsarbeiten beginnen. Zum Ausgrabungsleiter ernannte er Ligorio, einen an Antiken interessierten neapolitanischen Maler. Gleichzeitig erteilte er an ihn den Auftrag, die Benediktinerabtei in Tivoli zu einer großartigen Residenz auszubauen. Dies erfolgte dann von 1550 bis zu Ippolitos Tod Dezember 1572 (mit einer 5jährigen Unterbrechung). Im September des Todesjahres war der Ausbau der Villa fast abgeschlossen (Besuch des Papstes Gregor VIII) und der Garten in großen Teilen. Danach ließ Ippolitos Neffe Luigi d'Este an letzterem weiter arbeiten. 1624 war dann der Garten endgültig fertiggestellt (doch kamen bis zum Ende des Jahrhunderts noch einige Brunnen hinzu).
Zur Geschichte des Gartens:
- 1549
- Kardinal Ippolito d'Este wird Gouverneur von Tivoli
(bis dahin hatte der Konvent an der Kirche S. Maria Maggiore diesem als Sitz gedient. Für den Kardinal und sein Gefolge war das bisherige Gebäude nach dessen Verständnis zu klein und er ließ es seinen Bedürfnissen anpassen),
- 1550
- Ankauf anliegender Ländereien für die Anlage eines Gartens,
- 1560
- Beginn mit den Bauarbeiten für eine neue Villa,
- 1563
- (bis Mai 1565):
- Beginn der Planierungsarbeiten (die freiwerdenden Erdmassen wurden in Richtung Stadtmauer umgelagert, um die Terrassen zu verbreitern),
- zeitgleich errichtete man für die Terrassen mit Hilfe von Tonnengewölben zum Tal hin die dafür notwendigen Unterbauten,
- zeitgleich Bau der Wasserleitung und des unterirdischen Kanals vom Fluss Aniene zum Garten,
- 1565
- 1565: Entwurf der Gartenanlage
Längs einer Mittelachse und fünf davon abgehender Querachsen (auf den verschiedenen Terrassen) wurde die quadratische Gesamtfläche in ca. 30 m lange, rechteckige Flächen (Kompartimente) aufgeteilt. An den Enden der Querachsen wurden Brunnen errichtet und unterhalb des Schlosses im Hangbereich zusätzlich Diagonalwege zum Haupteingang angelegt.
- 1567
- Beginn mit den Brunnenarbeiten und der Tätigkeit der Bildhauer und Mosaikkünstler (nach Abschluss der Maurerarbeiten),
- 1567 - 1568:
Entwicklung des Bildprogramms für die Villa und den Garten durch eine Humanistengruppe unter Leitung von Ligorio
(in einer komplexen Symbolsprache, orientiert an thematisch aufeinander bezogenen klassischen Mythen, sollten die familiäre Herkunft des Kardinals und seine Tugenden herausgestellt werden),
- 1569
- Enteignung der nicht verkaufswilligen Bürger, Abriss störender Gebäude, danach umfangreiche Planierungsarbeiten,
- Unterbrechung der Arbeiten (wahrscheinlich aus Geldmangel),
- 1572
- Wiederaufnahme der Arbeiten wegen eines erwarteten Papstbesuches,
- 1572
- Tod des Kardinals (alle Brunnen sind noch unvollendet, viele nur geplant). Beendigung der angefangenen Arbeiten; Instandhaltung der vorhandenen Anlagen durch Luigi d'Este.
- 1599
- Fortsetzung der Arbeiten unter Alessandro d'Este (besonders Errichtung neuer Brunnen im unteren Teil),
- 1629 - 1641:
Erneuerung des vorhandenen Baumbestandes,
- 1660 - 1661:
Entwurf neuer Brunnen durch Lorenzo Bernini,
- ab 1695:
Niedergang der Villa durch Vernachlässigung, Verkauf der Skulpturen und Plünderungen,
- 1850 - 1896:
Versuch einer Wiederherstellung durch Kardinal Gustav von Hohenlohe (Treffpunkt vieler Künstler aus der ganzen Welt, u.a. Franz Liszt),
- 1922
- Beginn der Instandsetzung durch den italienischen Staat.
Viele wesentliche Anregungen für den Garten der Villa d'Este hatte Ligorio bei seinen Ausgrabungen an der Villa Hadriana erhalten (bis 1555). Er hatte dort die gesamte Villa vermessen, ihre einzelnen Gebäude beschrieben und deren erste planmetrische Rekonstruktion angefertigt. Darüber hinaus hatte er dort viele antike Bildwerke geborgen. Auf Anregungen dieser Villa gehen in seinem Garten in Tivoli u.a. zurück:
- der Einbau der künstlichen Terrassen in die Landschaft,
- die Arbeit mit halbrunden Exedraformen,
- die umfangreiche Verwendung des Wassers,
- die Aufstellung der Skulpturen (oft direkt aus der dortigen Villa übernommen).
Entscheidend für das Verständnis dieses Gartens ist dessen ikonographischer Entwurf. Alles in ihm sollte den Auftraggeber und diesen Ort preisen. Die gesamte Architektur rückte deshalb gegenüber dem ikonographischen Programm in den Hintergrund (eine gewisse Kenntnis der antiken Mythen ist hier deshalb unverzichtbar). Vorbild dafür war (wie für alle ähnlichen Konzepte) die Skulpturensammlung des Humanisten Angelo Colocci (1467 - 1549; Sekretär Leo X.; u.a. Mitglied der Raffael-Kommission) in seinem Garten auf dem Pincio von 1513 gewesen (in der Nähe des heutigen Trevi-Brunnens). Später beeinflusste dieser Garten u.a. auch die Grotten in den englischen Landschaftsgärten (u.a. Stourhead). Wahrscheinlich gibt es in Europa keinen Palastgarten der von einer derart umfangreichen Symbolik, seinen Metaphern, seiner Bildersprache getragen wird (vielleicht noch Versailles).
Inhaltlich wird er von vier große Themenkreisen bestimmt. Sie begleiten den Besucher durch den ganzen Garten, waren teilweise mit einander verflochten oder überlagerten sich. Dies waren:
- das Herkulesthema,
- die Tugenden des Kardinals (die die Laster besiegen),
- die Bezüge zur Örtlichkeit des Gartens (ihrem Genius loci),
- die Wechselbeziehung von Natur und Kunst.
Der ganze Garten orientierte sich zusätzlich an vielen Metamorphosen Ovids und mehreren örtlichen Sagen. Erarbeitet wurde dieses Konzept hauptsächlich von Ligorio selber und dem Geheimsekretär des Kardinals Marc-Antoine Muret. Leider wurden in der Folgezeit die Figuren des Gartens mehrmals umgestellt, so dass man heute seine ehemalige Themenstellung oft nur noch sehr schwer nachvollziehen kann.
Ippolito sah sich als ein Nachfahre Herkules. Dieser soll
- der legendäre Stammvater des Hauses d'Este gewesen sein,
- einer der Schutzgötter der Tiburtiner Berge
(so war ihm u.a. als antikes Heiligtum das Sanktuarium in Tivoli geweiht gewesen),
- der Wächter vor dem Eingang in das irdische Paradies
(dies im Rahmen einer christlichen Verklärung) und
- das Urbild eines wohltätigen Fürsten
(letzteres seit dem Mittelalter durch Boccaccio).
Der Herkulesmythos wurde deshalb auch zum ikonographischen Leitmotiv. Der gesamte Garten folgte als Ensemble dem mythischen Vorbild der Hesperiden, aus dem es Herkules gelungen war, die goldenen Äpfel (Apfelsinen) zu rauben. Der gesamte Garten sollte eine Heraufbeschwörung des "Goldenen Zeitalters" darstellen, - hier mit Hilfe der heidnischen Götter von einem Mann der Kirche geschaffen. Zwar leitete man das "Wahre" aus der christlichen Religion ab, aber das "Schöne" innerhalb der Gedankenwelt und der Kunst aus der Antike. Auf Herkules bezogen waren
- die Anlage des gesamten Gartens als Vergleich zur Reinigung des Stalles des Königs Augias. Für seine Verwirklichung mussten große Teile des alten Ortes Tivoli abgerissen werden. Durch den Reichtum des Kardinals sollten hier die Gärten der Hesperiden an Schönheit noch übertroffen werden.
(Auf diese verweise die vielen Pflanzkübel mit Orangengewächsen, die Agrumenspaliere und die heute nicht mehr vorhandenen Labyrinthe).
- die Statue am Kreuzungspunkt der Hauptachse mit der Achse der Grotte der Diana
(als Symbol für die keusche Liebe) und der Grotte der Venus (als Symbol für die sinnliche Liebe).
(Diana hier für die Reinheit der Hippolyte, der mythischen Stammmutter der d'Este stehend).
(Durch die spätere Umstellung der Herkulesstatue durch eine Jupiterstatue im 17. Jh. und der Venus durch einen Bacchus wurde das ursprüngliche ikonographische Programm bereits hier in seinen Ansätzen entscheidend verfälscht).
Auf die Tugenden des Kardinals verwiesen (immer wieder wird im Garten der Sieg der Tugenden thematisiert; in seinem realen Leben war er alles andere als ein Vertreter idealer Verhaltensweisen) u.a.:
- über den Herkulesmythos seine Rolle als beschützer des Hauses d'Este,
- die vielen Adlerdarstellungen (Wappentier der d'Este),
- die Figur des Hippolytos (dem keuschen Priester der Artemis. Ippolito identifizierte sich mit ihr als einem Namensvetter. Im Garten sollte sie einst neben der keuschen Diana stehen. In der Villa war sie das Hauptthema der einst dort vorgesehenen 16 Wandteppiche).
- der Entscheidungsweg des Herkules zwischen einem Weg der Tugenden und einem der Laster (hier als Endgrotten des Hundertbrunnenweges vorgesehen. Herkules wählte den Weg der Tugenden). Dem leicht zu gehenden Weg zur Grotte der schönen Venus stand der mühsame zum Brunnen der tugendsamen Diana. gegenüber.
- Bezüge auf wichtige Ereignisse im Leben des Kardinals.
(Es geht auch in diesem Themenkreis weitgehend um eine Darstellung des Kampfes der Tugenden mit den Lastern, den Triumpf des Herkules über das Böse. So stehen
- für die Sünde Pandora und Leda,
- für das Übermaß Venus und Bacchus,
- für die Keuschheit Diana und
- für die Reinheit das Einhorn.
Letztlich ging es hier um religiöse Themen, die allegorisch mit Hilfe antiker Gestalten aufgegriffen wurden. Die Venus besaß in dieser Verbindung nicht mehr ihre humanistische Stellung als eine Göttin der Weltordnung, als Ursprung des Alls).
Bei den Bezügen zur Örtlichkeit stechen besonders hervor:
- die Orientierung der Hauptachsen auf den Tempel der tiburtinischen Sibylle
(oberhalb der Tivoli-Kaskade. Sie steht hier für ihre Weissagung einer Wiederkunft Christi),
- die Ausrichtung einer 2. Achse durch den Palast zu einem Amphitheater außerhalb des Gartens,
(die beiden Hauptachsen verweisen damit auf die Örtlichkeit dieses Gartens, seiner Verbindung zum Sibyllenmythos:
Die gewaltige Skulptur der Sybille steht hinter dem Brunnen von Tivoli am Fuß des neuen Parnass (der für Tivoli steht). Von dort dreht Pegasus seinen Kopf zur Villa (zu Ehren des Kardinals, dem Förderer der Künste und Wissenschaften). Das Becken vor ihr steht für das Meer aus dem sie gerettet wurde und für Neptun. Durch die "Allee der hundert Brunnen" führt die Reise der Sibylle nach Rom (zum "Römischen Brunnen").
(Das mittelalterliche christliche Neuverständnis der Sibylle:
Varro hatte in der antiken Literatur 10 verschiedene Sibyllen unterschieden. Die Sibylle von Tibur (= Tivoli, Beiname "Albanea") war eine Nymphe, die hier in einem Rundtempel an den Wasserfällen der Annien verehrt wurde. Im Mittelalter sah man sie als "Tiburtinische Sibylle", als eine heidnische Seherin, die dem Kaiser Augustus die Geburt Jesu vorausgesagt hatte und ihn zu dessen Verehrung niederknien ließ. Im 11. Jh. wurden ihr verschiedene Prophezeiungen nachgesagt, und sie wurde bei der Bevölkerung und in der Kunst der Gotik und der Renaissance sehr populär).
- die antiken Fundstücke und Gartenelemente verweisen auf die nahe Villa Hadriana
(besonders die Brunnen, Becken, die Form der Exedra und das Theater).
- der "Römische Brunnen" (= "Rometta").
Er steht für Roms goldenes Zeitalter (und war der einstige Hintergrund für die Wasserspiele). Hier vereinten sich die drei Flüsse von Tivoli:
- das Wasser aus der "Allee der hundert Brunnen"
- mit dem Wasser aus der Kaskade von Tivoli, dem "Flussgott Annien",
- und dem Wasser aus dem Tempel der Sibylle und des Apenniens.
Ein steinernes Boot verwies hier auf den Jupitertempel auf der Insel Bartolomeo in der die sibyllischen Texte aufbewahrt wurden. Die hintere Front des Brunnens stand symbolisch als Miniaturmodell für das antike Rom (d.h. die sieben Hügel Roms mit ihren jeweiligen Identifizierungstempeln und dem Kapitolhügel in der Mitte). Ihr Panorama entsprach den Aufmessungen Ligorios in den Jahren 1552 - 1561. Dieses Bild wurde noch durch Statuen vervollständigt. Gegenüber befand sich eine Statue der siegreichen Roma (von Ligorio entworfen und von Pierre de la Motte ausgeführt). Hinzu kam noch eine Fülle kleiner Wasserfälle, symbolisch für die Flüsse und Bäche der Tiburtiner Berge und für den Tiber stehend.
- Neben der Sibylle befinden sich zwei Personifikationen der drei Flüsse, die sich in diesem Gebiet befinden: der Anniene und der Erculaneo. Eine dritte Figur steht für den Albuneo.
- für den Anniene steht auch die Kaskade mit ihrem großen Wasserfall,
- die Grotten vertreten die echten Grotten des Umlandes.
Die Wechselbeziehung von Natur und Kunst: Erst durch das Zusammenwirken beider entstand dieser Garten. Natur und Architektur durchdrangen sich in ihm wechselseitig. Der Gartenkünstler schuf mit Hilfe der Kunst hier eine "dritte Natur". Er verfeinerte mit seinen Möglichkeiten den menschlich bewohnten Außenraum. Im oberen Gartenteil steht der Parnass für die Kunst, für den Kardinal als deren Schöpfer, im unteren Teil die Natur mit der "Allmutter Natur" mit ihren Brüsten als Spenderin der Güter der Erde für den Menschen, die Wasserorgel und der Neptunbrunnen.
Die Grundkonzeption des Gartens der Villa d'Este ist sehr einfach, wenn man von seiner bautechnischen Konzeption absieht. Damit die Hauptachse des Hauses auch zu seiner Hauptachse werden konnte, musste der Garten quer zum Hang angelegt werden, was nur mit riesigen Stützmauern und umfangreichen Erdbewegungen möglich war, - einer bis dahin unbekannten Lösungsvariante. Fast die Hälfte des Gartens wurde künstlich aufgeschüttet. Eine natürliche Terrasse unterhalb der Villa war nach Osten durch eine Felswand begrenzt gewesen. Seit der Antike hat es keinen derartigen Eingriff in die Gegebenheiten der Natur mehr gegeben. Von dieser zentralen, auf die Villa hin ausgerichteten Hauptachse (betont durch eine Folge von Springbrunnen und Skulpturen) schuf Ligorio auf den verschiedenen Terrassen zur horizontalen Betonung des über ihnen stehenden Palastes davon rechtwinklig fortführende Wege, die er untereinander mit Hilfe von Rampen und Treppen verband (wahrscheinlich dem Vorbild des Fortunatempels von Palestrina folgend, mit dem er sich gerade in diesen Jahren beschäftigte). An deren Endpunkten stellte er dann seine verschiedenen Brunnen und Skulpturengruppen auf. Zwischen diesen bestanden Sichtbeziehungen und ein allegorisches Beziehungsgeflecht.
Ursprünglich wurde der Garten von unten betreten. Der Besucher blickte, geleitet von der Mittelachse, auf die über dem Hang sich befindende Villa und deren unteren Gartenbereich. Heute erfolgt dies von oben (dies war früher nur dem Kardinal vorbehalten). Aus der Villa tretend, konnte er von seiner Doppelloggia oberhalb der Mittelachse nicht nur über die fünf Terrassen seines Gartens, sondern auch über die gesamte Landschaft bis nach Rom blicken.
Obere Terrasse:
Die "Belvedere-Terrasse", Promenade. Man gelangte zu ihr über eine Monumentaltreppe und konnte von hier den gesamten Garten überblicken. Links befand sich ein Platz für Ballspiele und rechts ein "Giardino segreto", in dem einst der Einhornbrunnen und an seinem Ende eine Thetisgrotte befanden.
1. Querachse:
"Promenade des Kardinals". In ihrer Mitte befand sich einst der "Brunnen der Pandora". Sie lag zwischen der "Grotte der Venus" und dem Beginn des Aufstiegs zum "Giardino segreto".
2. Querachse:
"Allee der hundert Brunnen". Das Wasser sprang hier einst aus 22 Schiffen (= ein Symbol für die Kirche), jeweils getrennt durch drei Vasen (seit 1622 teilweise durch Adler und Lilien ersetzt). Darunter Reliefs mit den Metamorphosen Ovids. Links befand sich die "Rometta", rechts der "Ovata- Brunnen" (= "Fontana die Tivoli"), das Wassertheater mit der Kaskade, der Sibylle und dem Pegasus darüber. In ihrer Mitte führte eine Treppe zum "Drachen-Brunnen", einst für eine Herkulesstatue und einen mehrköpfigen Drachen gedacht gewesen (heute steht hier eine Jupiterstatue).
Wasserparterre:
Beginnend mit der Wasserorgel, der Grotte der Sibylle, dem "Brunnen des Neptuns" folgen 3 Fischbecken (einst waren 4 geplant gewesen).
Unterste Terrasse:
"Giardino dei Semplici",
Beete, aufgeteilt von vier Laubengängen, die sich in der Mitte zu einem Pavillon vereinigen. Angebaut wurden in ihnen Blumen und Obst. Seitlich davon (in der Böschung) sollten sich je zwei Myrtenlabyrinthe befinden (nur das südwestliche wurde fertig).
Besonders berühmt war und ist dieser Garten für seine Gestaltungselemente in Verbindung mit dem Wasser. Angeregt durch das Bewässerungssystem der Hadrianvilla wurde zunächst ein gewaltiger Aquädukt gebaut, um Wasser aus dem Anio zu leiten. Dieses wurde dann in allen seinen möglichen Erscheinungsformen vorgeführt. Insgesamt befanden sich in diesem Garten
- 51 Brunnen und Grotten,
- 364 Fontänen,
- 64 Kaskaden,
- 220 Becken und Bassins,
- 1 Catena d'acqua (skulptierte Wassertreppe),
- 875 m Kanäle,
(die durch ein kompliziertes, auf die Schwerkraft des Wassers aufbauendes unterirdisches System von Kanälen und Rohrleitungen gesteuert wurden).
Berühmt war dieser Garten einst für seine Automaten. Sie beeinflussten die europäische Gartenkunst bis weit ins 17. Jh.. Dazu gehörten u.a. der
- Eulenbrunnen ("Vogelsangbrunnen", in der Nähe der Villa, 1566 von Luc Leclerc errichtet; wahrscheinlich an Herons Beschreibungen orientiert):
20 Bronzevögel zwitscherten in verschiedenen Tönen, bis das Erscheinen einer Eule sie verstummen ließ.
- Orgelbrunnen (1566 errichtet. Er galt in seiner Zeit als ein Wunderwerk):
Vorbild für die Wasserorgel von Pratolino. Anleitungen dazu von Ktesibios, Heron und Vitruv. Wasserluftgemische werden hier getrennt und bedienen 22 Orgelpfeifen, die fünfstimmige Madrigale ermöglichen. Er sollte die musikalische Stimme der Sibylle darstellen und ihre apokalyptische Flut verkünden. Er war die erste Erfindung in der Nachfolge Herons, die danach die Automatenkunst in vielen europäischen Gärten bis ins 17. Jh. hinein beeinflusst hat.
- Drachenbrunnen:
Der Drache (der die "Goldenen Äpfel" der Hesperiden bewachte) konnte verschiedene Geräusche bis hin zu einem Kanonengedröhn von sich geben.
Das System von wassernahen Gestaltungsformen schuf einerseits eine komplexe Folge allegorischer Bezüge, andererseits erlaubte es, dieses Element in all seinen akustischen und visuellen Formen vorzuführen:
- zerstäubt als leuchtenden Schleier,
- feinen Strahl,
- vielfältigen Spritzer,
- als Schirm, Fächer oder Kuppel,
- brodelnd, sintflutartig oder als donnerndes Geschoss.
In Verbindung mit der Luft konnte es sogar
- Vogellaute oder Tierstimmen imitieren,
- Musikfolgen zu Gehör bringen,
- wie ein Geschoss klingen.
In diesem Garten entstand die erste künstliche Kaskade, und gemeinsam mit Pratolino bestimmte er europaweit entscheidend die Kultur der Wasserautomaten. Hier wurde erstmals in diesem Umfang die Macht des Menschen über die Natur durch seine Macht über das Wasser zur Schau gestellt. Seine Wasserspiele sollten sie übertreffen. Die Fülle des verfügbaren Wassers erlaubte es, dieses in allen seinen Möglichkeiten vorzuführen (zur Verfügung standen zwei Kanalsysteme: zum einen das Rivellesse-Aquädukt, zum anderen eine Wasserleitung von oberhalb der Tiburtiner Wasserfälle mit allein 500 l Wasser pro Sekunde). Diesen überall zu hörenden Wassergeräuschen stand als Kontrast die Ruhe der Alleen gegenüber.
Man kann sich diesen Garten, orientiert an seinen Themen, auf verschiedenen Wegen erschließen. Für Ligorio begann der Aufstieg im Tal (so beschrieben in seiner "Descrittione") und führte als ein Initiationsweg ("Weg des Reifens") zum Palast, d.h., er führte auf einer Entwicklungsroute von der Natur zur Kultur, zur Kunst.
An den Anlagen der Villa d'Este haben über 20 Künstler gearbeitet. Doch das Verständnis für sie im Sinne des Kardinals, sie als eine Groteske anzulegen, als ein flächiges Ornament mit menschlichen, tierischen und pflanzlichen Darstellungen hatte nur Ligorio gehabt. Anders als die toskanischen Villen der Medici sind sie voll vom klassisch-römischen Geist durchdrungen und neigen zur Monumentalität. Die Gartenidee entspringt hier nicht der Natur oder der Idee einer göttlichen Schöpfung, sondern ist allein als der Ausdruck eines persönlichen, menschlichen Willens zu verstehen. Ein Geschlecht ikonographisch über einen so umfangreiche Zeitraum darzustellen, wurde von jetzt an ein bedeutendes Merkmal der großen europäischen Gärten.
Für diesen Garten gab es einst von Ligorio zwei Entwürfe, (wie er vorgesehen war, aber nur teilweise ausgeführt wurde) und eine äußerst umfangreiche Beschreibung (1568 ?). Sie erläuterte
- die gesamte Struktur dieses Gartens (z.B. sein Wegenetz),
- alle seine Statuen,
- seine Ikonographie,
- die Funktionsweise seiner Brunnen und Wasserläufe),
- die gesamte Bepflanzung bis ins Detail
(u.a. für die einzelnen Laubengänge und Spaliere. Sie wurden für die einzelnen Gartenteile als Ausdrucksmittel sehr bewusst eingesetzt. Es gab nur wenige Bäume
(u.a. Platanen vor dem Tivolibrunnen, Lorbeerbäume zu Füßen des Pegasus und in den vier Feldern der unteren Ebene Obstbäume)).
(Die Zypressen auf den Bildern von Piranesi und die heutigen Hochstämme stammen aus späteren Zeiten. Sie zerstören den eigentlichen Gesamteindruck des Gartens).
Außerdem haben sich viele Materialanforderungen und Zahlungsanweisungen erhalten.
Unmittelbar aus Ligorios Arbeit ist die Brunnenfolge
"Pegasus-Brunnen - Brunnen des Ovato - Straße der hundert Brunnen - Rometta"
hervorgegangen. 1565 - 68 schuf er die Grotte der Venus als angenehmen Aufenthaltsraum für die heißen Sommernachmittagsstunden. Sein ganzer Garten baute auf vier Kriterien auf:
- Bezüge zur Antike (als der "Goldenen Zeit" Roms),
- Naturnähe (besonders des Wassers),
- Technik (als Ausdruck des menschlichen Geistes),
- szenische Überraschungseffekte.
Dieser Garten besaß für die europäische Gartenkultur von Anfang an einen Vorbildcharakter.
Der heutige Garten, so schön wie er immer noch ist, hat mit dem Garten des Kardinals und Ligorios wenig gemein. Er verlor seine einstige Pracht, seine früher vergoldeten Skulpturen, seine vielen prachtvollen Mosaikarbeiten. Auch seine damaligen Skulpturen stehen nur noch selten an dem ihnen einst zugedachten Platz, so dass es heute fast unmöglich geworden ist, das ehemalige ikonographische Programm nachzuvollziehen. Viele Gartenteile wurden verändert und befinden sich auch wegen der inzwischen eingesetzten Schäden nicht mehr im Betrieb.
Für die Gartenkunst ist der Name Ligorios untrennbar mit dem Garten der Villa d'Este verbunden. Ihr Einfluss auf die europäische Gartenkunst geht weitgehend auf ihn zurück. Fogliati sagte von ihm (1569), er besäße eine bewundernswürdige Kenntnis des Altertums und sei der berühmteste Architekt seiner Zeit.
Quellen
- Bajard, S. /Bencini, R. "Paläste und Gärten Roms", Paris 1996
- Barisi, Isabella "Die Villa d'Este, Rom 2004
- Bazin, Germain "DuMont's Geschichte der Gartenkunst, Köln 1990
- Chatfield, Judith "Die schönsten italienischen Gärten", Köln 1991
- Clifford, Derek "Gartenkunst", Reutlingen 1966
- Enge, Schroer u.a. "Gartenkunst in Europa", Köln 1990
- Gothein, Marie Luise "Geschichte der Gartenkunst", Jena 1926
- Mader, G. /Neubert-Mader, L. "Italienische Gärten", Stuttgart 1989
- Mosser, M. / Teyssot, G. "Die Gartenkunst des Abendlandes", Stuttgart 1993
- Pizzoni, Filippo "Kunst und Geschichte des Gartens", Stuttgart 1999
- Saudan, M. / Saudan-Skira, S. "Zauber der Gartenwelt", Köln 1987
- Visentini, Margherita Azzi "Die italienische Villa", Stuttgart 1997