Er beschrieb als erster die Prinzipien des französischen Barockgartens.
Eigentlich beschäftigte sich Aviler in seinem Buch "Cours d'Architecture qui comprend les Ordres de Vignola" mit Fragen der Gartengestaltung nur am Rande (auf ca. 10 Seiten des ersten Bandes). Er stellte dort aber in knapper Form die Gestaltungsprinzipien des französischen Barockgartens dar, wie er im Umkreis Le Nôtres gepflegt wurde. Seine Ausführungen sind deshalb so bedeutsam, weil er in deren Gesamtschau der erste war, der die Prinzipien der Gartenkunst so erfasste.
Über das Leben von Aviler weiß man:
- 1653
- Geboren in Paris als Sohn einer vornehmen Familie,
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- Erste Ausbildung zum Architekten vermutlich an der "Académie royale de peinture et de sculpture" in Rouen,
(wahrscheinlich altersbedingt nicht bei Jean-Francois Blondel (1683 - 1756) wie allgemein angegeben wird; evtl. bei dessen Großvater),
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- seine architektonische Begabung fiel früh auf und brachte ihm ein Stipendium für ein Weiterstudium an der französischen Akademie im Rom ein (einer Institution der Architekturakademie).
- 1674
- Das Schiff, das ihn nach Italien bringen sollte, wurde von algerischen Seeräubern gekapert und er zunächst als Sklave nach Algier gebracht, anschließend 16 Monate nach Tunis. Hier soll er weiter gezeichnet und dabei u.a. eine Moschee entworfen haben.
- 1676
- Auf Einwirkung Ludwig XIV. freigelassen.
- 1676 - 1679
- Stipendiat in Rom. Unterricht bei Charles Errard. Er erhielt hier Zeichenunterricht und studierte besonders die antiken Baudenkmäler.
- 1677
- Als frühes Ergebnis dieser Studien erhielt er einen 2. Preis im "Concorso" der Accademia di San Lucca (einer Einrichtung zur Ausbildung französischer Architekten).
- 1679
- Rückkehr nach Paris,
- 1680
- Aufnahme seiner Arbeiten am "Cours d'Architecture". Mögliche Beweggründe: Die hohe Schätzung Vignolas Säulenlehre bei der Akademie.
Er schrieb einen ausführlichen Kommentar zu dessen fünf (Säulen-)- Ordnungen.
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- Bewerbung um praktische Tätigkeiten,
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- Auftrag Colberts, eine Arbeit über die italienische Hydraulik anzufertigen , die er als eine Degradierung zum "Techniker" empfand.
- 1683
- Vortrag vor der Versammlung der Akademie zur Einführung in sein Buch (aus der "Préface"), der ihm viel Anerkennung einbrachte.
- 1684 - 1687
- Ausbildungsarchitekt für den Zeichenbereich im Architekturbüro von Hardouin-Mansart.
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- Förderung durch den Minister Louvois (nach dem Tod Colberts 1683), der ihm später auch die Publikation seines "Cours d'architecture" ermöglichte.
- 1685
- Übersetzung und Kommentar zu Vincent Scamozzi "Les cinq ordres d'architecture de Vincent Scamozzi tirez du 6me livre de son Idée genérale d'architecture".
- 1689 - (1685 ?)
- Umzug nach Montpellier (sein Ruf als Architekt war bis hierher gelangt. Er war in Paris als Architekturtheoretiker zwar hoch geschätzt, konnte hier aber nicht Fuß fassen).
(bis zu diesem Zeitpunkt war er kein Mitglied der Akademie gewesen).
- 1691
- Herausgabe seines Buches "Cours d'architecture qui comprend les Ordres de Vignola" (Paris; oft in der Literatur nur "Cours" genannt)
(2 Bände; insgesamt 880 Seiten; bis 1760 zehn weitere französische Auflagen; deutsch 1699, übersetzt von Leonhard Christoph Sturm, bis 1777 vier weitere Auflagen)
- Bd. 1:
Er sollte eine Darstellung der gesamten Zivilarchitektur aufzeigen. Sein Ziel war es, über eine Abhandlung Vitruvs und "moderner" Autoren zu einer "französischen" Architektur zu gelangen. Dabei ging Aviler besonders auf Vignolas "Regola" ein. Der 230seitige Band enthielt 111 radierte Tafeln. Ca. 10 Seiten in ihm gingen auf die um Paris praktizierte Gartengestaltung der damaligen Zeit ein.
- Bd. 2
(der "Dictionnaire", ein Fachwörterbuch, das auf Vollständigkeit und Aktualität zielte):
Er ergänzte den Text und die Tafeln des 1. Bandes mit über 5000 Stichwörtern aus allen Bereichen der Architektur (u.a. auch mit Begriffen aus der Geometrie und der Erläuterung wichtiger Instrumente. Das Vorbild dafür war eine Schrift von André Felibien gewesen).
- 1693
- Baubeginn seines bedeutendsten baulichen Werkes, des erzbischöflichen Palastes in Toulouse
(für seine Bemühungen um dasselbe wurde er von den Ständen als Belohnung zum "Architekten der Provinz Languedoc" ernannt),
- 1699
- (evtl. Aufnahme in die Akademie; dafür gibt es keine gesicherten Belege),
- 1701
- Tod in Montpellier; "Von der Arbeit niedergedrückt, verließ Aviler die Gesundheit und er starb vorzeitig" (wikipedia/fr.).
Weitere baulichen Arbeiten Avilers u.a. in
Als Avilers wichtigstes Werk gilt sein "Cours d'Architecture". Es wurde damit zu einem seiner wichtigsten Multiplikatoren, zu einem Hauptvertreter dessen Kanons. Um eine größere Ausdrucksvielfalt zu erhalten, erweiterte er es mit Hilfe von Motivvariationen. Auf diese Weise versuchte er sogar, eine "französische Architektur" zu schaffen. In seiner "französischen Ordnung" ersetzte er z.B. die Akanthusblätter des korinthischen Kapitels durch Hahnenfedern und militärische Orden. Für ihn stellte die römische Antike das Bauideal dar. In seiner konservativen Grundhaltung wandte er sich dabei auch gegen die in Italien inzwischen eingetretenen Weiterentwicklungen in ihrer Barockarchitektur, wie gesprengte Giebel, Kartuschen (= barocke Umrahmungen von Inschriften und Wappen) und andere architektonische Extravaganzen. Dieser sein Versuch wurde bereits von der französischen Akademie als gescheitert angesehen.
Avilers Arbeit steht im Rahmen der Versuche der Pariser "Academie Royale d'Architecture" (gegründet 1671), eine allgemein anerkannte, akademische Lehre für die Architektur zu schaffen. Dabei war es sein Ziel, zwischen einem anzustrebenden Ideal (Vignolas Säulentraktat (1562) galt damals in Frankreich als das unanfechtbare Regelwerk) und den Bedürfnissen der Bevölkerung eine Verbindung zu schaffen. Dabei war der Nachteil des Vignola-Traktats gewesen, dass es kaum einen erläuternden Text besaß und deshalb mit einem ausführlichen Kommentar zu ergänzen war (besonders hinsichtlich der Bestandteile der Ordnungen und deren Proportionierungen). Als Regelwerk sollte es nicht nur informieren, sondern hauptsächlich den Handwerkern eine Anleitung bieten. Aviler verarbeitete dabei u.a. auch die schwer lesbaren Akademievorlesungen (1675 - 1683) Francois Blondels in einen für die Praxis brauchbaren Text. Das Buch war zu einem Kompendium über die Säulenordnung im Allgemeinen und zu einer Führung durch eine modische, zeitgemäße Innenarchitektur geworden.
Die Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigte Aviler, indem er besonders von einem gehobenen, städtischen Wohnhaus und den Alltagsgewohnheiten seiner Bewohner ausging. Um die Jahrhundertwende wollte ein großer Teil der Versailler Hofgesellschaft wieder zurück nach Paris. Es wurde in der Stadt wieder verstärkt gebaut, und man interessierte sich nun besonders für die Inneneinrichtung der neu geschaffenen Gebäude. Dekorationsanregungen nahmen deshalb in dem Buch einen breiten Raum ein (u.a. Ausführungen über Säulen, Baluster (= Geländerstütze), die verschiedenen Reliefs, Schäfte und Bossierungen).
In der Neuauflage des "Cours" (1710, 9 Jahre nach Avilers Tod) wurde die Arbeit noch einmal besonders hinsichtlich der neuen Bauwünsche aktualisiert (die dafür notwendigen Kommentare und Stiche lieferte nach einem Verlegerwechsel jetzt Alexandre Le Blond. Er benutze dabei für das architektonische Wörterbuch (Teil II) die Unterlagen Avilers. Die Vorlagen für die bisherigen Tafeln hatte Aviler, bis auf die Frontispize der beiden Teile, selber gezeichnet). Türen, Fenster, Kamine und andere Bauelemente, die Vitruv nicht thematisiert hatte, wurden jetzt behandelt. Das Buch wurde zunehmend zu einem Regelwerk im Sinne des Rokokos.
Neu an dem Buch war auch der Versuch, über eine architektonische Formenvielfalt ein eigenes Sprachsystem zu schaffen (z. B. mit Simsprofilen, die jeweils für bestimmte Buchstaben stehen sollten (Sims = waagerechter Mauerstreifen, der Bauteile horizontal voneinander trennt)).
In Deutschland wurde das Schloss Nordkirchen (1703 - 1720, bei Münster) nach den Vorgaben im "Cours" gebaut (durch G. L. Pictorius).
Die Gartengestaltung sieht Aviler als Teil der Architektur, bei der sich durch die unterschiedlichen Gegebenheiten des Geländes und der Gartengrößen verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten ergeben. Die Hauptaufgaben des Gartenkünstlers bestehen darin,
- die Vorteile eines Geländes zu betonen,
- seine Nachteile zu korrigieren (und dies bei möglichst wenigen Erdbewegungen). Das Gebäude steht am höchsten Punkt des Geländes.
Wegen der verschiedenen Geländeformen gibt es drei verschiedene Gartentypen:
- die völlig ebenen,
- die leicht abschüssigen,
- die stark terrassierten.
Es ist darauf zu achten, dass die schönen Gebäudeansichten auch von weitem wahrgenommen werden können. Das kann erreicht werden durch
- die Art der Alleeführung,
- eine Gesamtansicht des Gebäudes am Ende einer Allee.
Bei den verschiedenen Gartenelementen beschreibt er:
- Parterre (= Luststück):
- Es soll die Breite des Hauses besitzen,
- Seine Broderien sollen nicht unruhig wirken
(damit sie sich deutlich abheben, müssen sie auf einem schwarzen Untergrund stehen und ihre Figuren mit Sand ausgestreut werden),
- Einzufassen sind sie mit Rabatten (plate-bandes),
in denen sich Blumen und immergrüne Sträucher befinden. Ihre Ecken sind besonders hervorzuheben.
- Ihr Bild wird bestimmt von Geraden, Bögen und Ornamenten.
- Es gibt vier Grundtypen:
- Parterre mit Broderien,
umgeben von einer zerschnittenen Rabatte. Beide werden durch einen Sandweg voneinander getrennt. Es ist das schönste und befindet sich unmittelbar vor den Fenstern des Hauses.
- Parterre mit doppelten Buchsbaumbändern.
Zwischen diesen sind Rasenstreifen. In den restlichen Flächen befinden sich Broderien (bei Aviler fälschlich im Stich als parterre a l'angloise bezeichnet. Obwohl vor Le Blonds Beteiligung am Werk entstanden, wurde dieser Fehler später zu einem Hauptargument gegen seine Urheberschaft an seiner "La théorie et la pratique du jardinage").
- Blumenparterre (parterre de pièces coupés en compartiment):
Aus Geraden und Bögen bestehende Beete zwischen denen man prominieren kann. Bepflanzt sind sie mit Blumen, umgeben von einer zerschnittenen Rabatte.
- Rasenparterre (Parterre a l'Angloise):
Größere Rasenbeete, eingefasst von einer schmalen Rabatte. Breite Wege und eine Außenrabatte.
Wenn es die Temperaturen erlauben, kann man diese Parterres mit Kübelpflanzen und auswechselbaren Blumentöpfen schmücken.
- Wege:
Sie (u.a. Alleen) trennen die Bosketts von den Parterres.
- Die Hauptallee zur Schlossfassade soll aus Rosskastanien bestehen (mit pyramidal geschnittenen Eiben dazwischen).
- Am schönsten sind oben schließende Ulmenalleen.
- Hainbuchenalleen sind eng zu pflanzen, um den gewünschten Schatten zu geben.
Sie sollen zwischen 12 - 15 Fuß breit sein und von der Mitte des Gebäudes rechtwinklig, parallel oder diagonal ausgehen.
Kommen mehrere Alleen an einem Platz zusammen, dann bilden sie einen "Stern", in dessen Mitte ein schöner Blickpunkt steht (point de vue). Vorteilhaft ist es, wenn ihre Sicht am Horizont endet.
In Wäldern soll man für Alleen und Bosketts möglichst wenig Bäume fällen. Die Umschließungsmauern sind mit Hainbuchenhecken zu verdecken.
- Bosketts:
Für sie gibt es viele Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. als Theater, Labyrinthe, Spiel- und Festsäle).
Vertieft angelegte Rasenflächen, umgeben von immergrünen Gehölzen, bilden "Boulingrins" (Sie dienten für verschiedene Ballspielarten).
"Quincunxe" bestehen aus regelmäßig versetzten Baumalleen.
- Hanglagen:
Haben wegen größerer Gestaltungsmöglichkeiten Vorteile (z.B. durch ihre Rampen und Treppen).
Das Gefälle ihrer Böschungen darf nicht zu steil sein.
Hohe Terrassen sind durch Geländer abzusichern. Treppen sind am schönsten, wenn sie so lang wie sie breit sind und wenn sie nur wenig Stufen haben.
- Berceaus:
Zu unterscheiden sind natürliche und künstliche Laubengänge.
Bei den natürlichen werden die Zweige miteinander verflochten, bei den künstlichen über ein Gitter- oder Lattenwerk (aus Eisen oder Eichenkernholz = Treillagen).
Ihre Höhe soll ihre Breite um ein Drittel übertreffen.
Sie eignen sich gut zum Abschließen eines Stadtgartens.
- Orangenhäuser:
Feste Gebäude zum Überwintern von Kübelpflanzen.
Die Fenster sollen nach Süden ausgerichtet sein.
Die Orangenparterres bestehen aus Rasenflächen, da die hier in Reihen aufgestellten Orangenkübel ihr größter Schmuck sind.
- Wasser:
Ohne Fontänen ist ein Garten wenig erfreulich. Sie beseelen ihn.
Die Höhe des Springstrahls ist auf die Beckengröße abzustimmen.
Das Wasser soll bis an den Beckenrand reichen.
Bevor es den Garten verlässt, ist es in einem großen Becken oder Kanal zu sammeln.
Kaskaden bestehen aus Wasserstürzen oder aus mit Wasserläufen verbundenen Bassins.
- Skulpturen:
Bildhauerarbeiten tragen erheblich zum Reichtum eines Gartens bei.
Sie sollen sich gut von ihrem Hintergrund abheben.
Vasen, Säulen und Obelisken sind einzeln am Ende einer Rampe oder Treppe, an Becken, in Broderiefeldern oder mitten in einem Rasenparterre aufzustellen. Breite Ausführungen macht Aviler über die Sockel von Skulpturen (Piedestale). Ihre Höhe soll 2/3 oder 2/5 von den Standbildern betragen. Je nach Gestaltungsgegenstand ist er diesen anzupassen. Sie sollen möglichst aus Marmor bestehen und mit einer Inschrift versehen sein. Bei Büsten sollen sie sich nach unten verjüngen, bei Hermen gehen die Brustgestalten unmittelbar in den Schaft über.
Aviler bringt selber keine neuen Gedanken zur Gartengestaltung. Er beschreibt aber als erster die Hauptkriterien, nach denen in Frankreich vor 1700 ein Barockgarten gestaltet wurde.
Quellen
- Köhler, Bettina "Architektur ist die Kunst, gut zu bauen", Berlin 1997
- Wimmer, Clemens Alexander "Geschichte der Gartentheorie", Darmstadt 1989