36. Giovanni Francesco Guerniero (um 1665 - 1745) | ||||
Er plante das absolutistische Gegenstück eines deutschen Fürsten zu Versailles (ohne davon auch nur etwas zu übernehmen). Der Garten ist "... eine der prächtigsten Anlagen in ganz Europa, selbsten diejenigen zu Versailles, Frascati, Tivoli und anderen schon beschriebenen Orten nicht ausgenommen" (Sachevill Stevens, engl. Reiseschriftsteller). "Wäre der Plan Guernieris ganz zur Ausführung gekommen, so wäre hier ein Werk entstanden, dessen gewaltige Größe und imponierende Geschlossenheit in Europa wohl nicht viel seinesgleichen gehabt hätte" (Marie Luise Gothein, 1913). "Vielleicht das Grandioseste, was irgendwo der Barockstil in der Verbindung von Architektur und Landschaft gewagt hat" (Georg Dehio, 1914). Außer über seine Kasseler Zeit weiß man über das Leben Guernieros kaum etwas, und auch bereits bei seinem Namen gibt es über zehn verschiedene, teilweise von ihm selbst benutzte Schreibweisen. So unterschrieb er seine Widmungstexte in seinem Stichwerk in lateinischer, italienischer, französischer und deutscher Sprache mit Joannes Franciscus Guernierus, Gio. Francesco Guernieri, Jean Francois Guerniere und mit Johann Frantz Guernier. Aus seinem Leben weiß man:
Diese Umsetzung erfolgte durch Giovanni Francesco Guerniero, den der Landgraf wahrscheinlich 1700 bei der Besichtigung der Kirche S. Ignazio in Rom kennengelernt hatte. Obwohl er seit 1701 jeweils nur Teilverträge erhielt, bestand anscheinend von vornherein eine klare Vorstellung von den Gesamtanlagen. Während seiner Reise nach Rom stellte Guerniero sie 1705 in seinem Stichwerk "Delineato montis" als Ganzes vor. Dieses Stichwerk besteht aus (Ausgabe der 2. Auflage 1706):
(angegeben mit einer Buchstabenfolge im Gesamtgrundriss, auf die sich die restlichen Pläne beziehen). Für den Maßstab wurde der Rheinische Schuh zugrunde gelegt (= 31,4 cm).
Blatt 1: Gesamtgrundriss
Er zeigt einen maßstäblich aufeinander bezogenen Grundriss mit einem darüber liegenden Höhenschnitt, aufgeteilt in seine Bauabschnitte.
Blatt 2: Ansicht der Gesamtanlagen
Eine halbschräge Vogelperspektive. Sie macht das architektonisch Grandiose dieser Anlage besonders deutlich. In ihrem Mittelpunkt ist ein Sternplatz. Die dazu gehörende Querachse sollte wohl Festveranstaltun- gen dienen.
(Diese Querachse macht deutlich, dass deren Stellung in den damaligen deutschen Gärten nicht in ihrer fehlenden Modernität lag. Sie entsprach einer anderen architektonischen Grundhaltung als in Frankreich. Auch der Ruhm der dortigen Mittelachse verblasste gegenüber diesem Entwurf. Uns ist kein anderer Garten bekannt, in dem diese raumbetonender war als hier, raumbetonend bis tief in die Landschaft hinein). Andererseits fällt die für die damalige Zeit ungewöhnliche Naturnähe auf, wie sie, von einem anderen geistigen Ansatz her, erst wieder in den viel späteren Landschaftsgärten aufzufinden war: Die Gartenbauten aus natürlichen Felsbrocken, die unbeschnittenen, wegbegleitenden Pflanzungen, das Wild auf den zwischen den Gehölzpflanzungen befindlichen Wiesen und eine romantische Schlucht. Dieser Garten lebte bereits zu diesem Zeitpunkt (Barock) aus den Spannungsbereichen geometriebetonter Kultur und wilder, wasserbetonter Natur (später, auf dem Weg zum Landschaftspark, ließ man dann nur das Formale der Kultur fort). Die weiteren Blätter zeigen:
Das Oktogon liegt auf dem höchsten Punkt. Vorbild dafür war vielleicht der Palazzo Farnese in Caprarola, den Vignola als Pentagon geschaffen hatte. Gedacht war es als ein Sitz der Götter, als ein Olymp. Es ist hier ein von Arkaden umgebener achteckiger Bau aus Tuffstein mit einem achteckigen Wasserbecken in seinem Innenhof. Das Bauwerk ist 28,5 m hoch. Darüber befinden sich eine 30 m hohe Steinpyramide und der 9,2 m hohe Herkules. Die Pyramide war erst ab 1713 hinzugefügt worden. Im Stichwerk war sie noch nicht vorgesehen gewesen. Ihre nachträgliche Ergänzung war eine der Ursachen für die mangelnde Statik des Riesenschlosses. So mussten die ehemals offenen Bögen im Obergeschoss des Oktogons zugemauert werden. Geplant war es ursprünglich weniger schwer. Die unteren Geschosse sind aus grobschlächtigem Mauerwerk ausgeführt, Felsen imitierend. Verwendet wurde dafür der vor Ort vorhandene, leicht verwitternde Basalttuff. Nach oben wurden die Steinoberflächen dann zunehmend geglättet. Das Ganze wirkte wie ein aus dem Urgestein gewachsenes Gebäude hin zu einer zunehmend menschlicher werdenden Wohnkultur. Der Herkules ist eine vergrößerte Nachbildung des "Herkules Farnese". Er wurde zwischen 1713 - 1717 aus ca. 3 mm starkem Kupferblech hergestellt und 1718 aufgestellt. Nach der Mythologie hatte er hier die 11. seiner 12 Heldentaten erfüllt, den Raub der goldenen Äpfel der Hesperiden (einen dieser Äpfel hält er hinter seinem Rücken in der Hand). Im Barock galt er symbolisch als Inbegriff für einen tugendhaften Herrscher. Er stand für die Virtus, d.h. in der platonischen Philosophie für eine Vereinigung der vier Kardinaltugenden in ihm: Tapferkeit, Klugheit, Mäßigkeit und Gerechtigkeit. Auf der tiefer liegenden Terrasse befindet sich das "Amphitheater" (Vexierwassergrotte). Es bestand aus drei Grotten, bei denen in der mittleren ein Flöte spielender Zyklop (einäugiger Riese) sich befand. In ihr konnten die Zuschauer durch plötzliche Wasserstrahlen durchnässt werden. Die Nebengrotten dienten als Speiseräume. Im Becken in der Hofmitte befand sich ein Brunnen mit vielen feinen Wasserstrahlen in der Form einer Artischocke ("Artischockenbrunnen"). Unterhalb dieser Anlage war ein Becken ("Riesenkopfbecken"), in dem ein Riese mit der Hälfte seines Körpers unter einem Felsen liegt und mit lautem Getöse einen Wasserstrahl 12 m hoch gegen Herkules, seinen Bezwinger spukt. (Dieser Riese ist heute aus Verwitterungsgründen kaum noch zu erkennen). Der Landgraf hatte eine ähnliche Darstellung bereits während seiner Italienfahrt in der Villa Aldobrandini gesehen. Als Deutung für dieses Bild wurde später nachgeliefert, es handele sich hier um den stärksten der Giganten, um Enkelados, der von Herkules in der Schlacht der Giganten besiegt worden sei und danach unter den Felsen Siziliens begraben wurde. (Diese Darstellung war bereits vorgesehen gewesen, als an die Herkulesstatue noch gar nicht gedacht wurde). In den Nebennischen dieser Terrasse befinden sich je ein Triton (Meergott; halb Mensch - halb Fisch) und ein Zentaur (Kopf und Brust eines Menschen, Leib eines Pferdes). In ihnen blasen sie furchterregend auf ihren Hörnern. Über den Felsen zwischen ihnen stürzt das Wasser in das Becken. Nach diesen beiden übereinander liegenden Grottenhöfen beginnt jetzt die 250 m lange Kaskade. Sie besteht aus einem 5,5 m breiten Mittellauf und je zwei 1,75 m breiten Seitenläufen. Auf beiden Seiten befinden sich Treppen (mit je 842 Stufen). Dreimal wird die Kaskade unterwegs von Becken unterbrochen und damit in drei Abschnitte unterteilt. An ihrem Ende stürzt sich das Wasser über die Neptungrotte in das Neptunbecken (60 x 30 m groß). In der Grotte befindet sich Neptun, auf einer Muschel sitzend, mit einem Dreizack. Sie ist über einen Beckenumgang erreichbar. Flankiert sollte das Kaskadenende einst von zwei Säulen werden, wie sie der Fürst in der Villa Aldobrandini gesehen hatte. (dort als Herkulessäulen gedeutete Triumphsäulen). Hier endete die geplante Anlage vorzeitig. 1718 erreichte sie ihren barocken Endzustand. Fertiggestellt wurde von der einst vorgesehenen fast 1000 m langen Kaskadenachse nur das obere Drittel. Ursprünglich waren drei Kaskadenabschnitte mit vier Grottenanlagen in der Form von Amphitheatern projektiert gewesen. Der zweite Abschnitt sollte mit einem Wassertheater vor einer breiten Querachse enden und der untere mit einer Schauarchitektur, über die das Wasser in ein Becken fallen sollte. Der gesamte Karlsberg sollte mit Hilfe horizontaler, vertikaler und diagonaler Schneisen erschlossen werden. Man hatte von den geplanten Anlagen eine sehr gute Vorstellung, weil man von ihnen ein viel bewundertes 63 m langes Holzmodell besaß (heute nicht mehr vorhanden). Das ursprünglich vorgesehene Schloss sollte eine zurückhaltende Fassade erhalten. Seine Mitte bildete eine fünfbogige Arkadenhalle. Beim Durchschreiten gelangte man in einen tiefer gelegenen hinteren Gartenhof. Besonders auffallend waren hier eine doppelläufige Treppe zum Schloss hin und das erneute Aufgreifen des Wassermotivs durch mehrere Brunnen und eine zentrale Kaskade. Der dazu gehörige Gartenhof war von einer niedrigen Mauer umgeben. Der Vorhof, das Corps de logis, war optisch von einer Dreiflügelanlage umgeben, deren Flügel aber aus freistehenden Gartenhäusern mit je einem giardino secreto zum Hauptgebäude hin bestanden. Vom Schloss aus sollten Achsen in das Umland führen, die Hauptachse bis nach Kassel (5 km lang, in der Verlängerung der Kaskadenachse). Guernieros Entwurf folgte ganz römischen Vorbildern (besonders der Villa Aldobrandini in Frascati), d.h.:
Aber anders als in Italien war hier der Garten nicht innerhalb eines fest umgrenzten Raumes klar durchgeformt worden, sondern bildete ein offenes Achsen- und Terrassensystem innerhalb eines naturnahen Waldbereichs an einem Berghang. Anders als in Frankreich
Heute erlebt man den ehemaligen Barockgarten weitgehend nur noch als Landschaftspark. Drei nachfolgende Landesfürsten haben ihn, jeweils im Stilempfinden ihrer Zeit, zu dem gemacht, was er heute ist: Friedrich II. (regierte von 1760 - 1785) war vom frühen Landschaftsgarten mit seinen Staffagen und anglo-chinesischen Moden beeinflusst. Er liebte die Mythologie Ovids und die Philosophie (besonders die der Vorsokratiker). Für ihn stand der Garten mit einem Bildungsauftrag in Verbindung, einem Gedanken, den er aus der damaligen Aufklärung bezog. Er stellte den Hofgärtner Daniel August Schwarzkopf (1766 -1817) ein, der die Umwandlung des Parks in einen Landschaftsgarten durchführte.
Wilhelm I. (1785 - 1821) folgte dem klassischen Landschaftsgedanken. Er ließ die bisherigen szenischen Staffagen weitgehend wegräumen und schuf neue Bilder im Sinne der Landschaftsmalerei. Das Wasser und seine Geräusche wurden zum Hauptmotiv des Gartens und neue Durchblicke geschaffen. Er ist der eigentliche Schöpfer des heutigen romantischen Parks. Auf ihn gehen u.a. der Aquädukt und der Höllenteich mit der Teufelsbrücke zurück (von Jussow geplant).
Wilhelm II. (1821 - 1831) vollendete dann die Arbeiten. Er stellte Wilhelm Hentze als Hofgärtner ein, der die bestehenden Teile zu einem harmonischen Ganzen verschmolz, indem er die Geländeprofile besser an die Wege anpasste und das Wasserthema ausbaute (u.a. die "Steinhöfer Wasserfälle" schuf).
Bei allen späteren Änderungen blieb aber Guernieros barocker Gartenteil unangetastet das tragende Gartenelement und prägte, bei aller Schönheit seiner heutigen landschaftlichen Bilder, sein charakteristisches Aussehen. Quellen
http://de.wikipedia.org/wiki/Bergpark_Wilhelmshöhe
http://de.wikipedia.org/wiki/Giovanni_Francesco_Guerniero |